Krefelder sind im Ausland SuperstarsBlind Guardian: „Metal auch auf dem Bio-Trip!“

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Auf der Bühne hart, im Alltag ungewöhnlich zart: André Olbrich und Hansi Kürsch von „Blind Guardian“ mögen’s heute auch beschaulich – und freuen sich immer auf ihre Heimat Krefeld. 

Köln – Sie hat ihr Meisterwerk abgeliefert. Die Krefelder Metal-Band Blind Guardian, eine der erfolgreichsten deutschen Bands im Ausland, hat das Album veröffentlicht, das seit 25 Jahren in ihren Köpfen herumschwirrt: „Legacy Of The Dark Lands“, ein rock-sinfonisches Werk, für das der Dreißigjährige Krieg den Hintergrund liefert.

Apokalyptische Reiter aus der Schattenwelt kommen, es geht ums Überleben der Menschheit. Sänger Hansi Kürsch (53) und Gitarrist André Olbrich (52) erzählen mehr – auch Privates.

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Hansi Kürsch (r.) und André Olbricht (Mitte) beim Interview mit Reporter Horst Stellmacher im Restaurant „Filos“.

Sie haben 25 Jahre am Album „Legacy Of The Dark Lands“ gearbeitet. Was ist das für ein Gefühl, wenn es jetzt Wirklichkeit ist? Hansi Kürsch: Ich lebe auf Wolke 7, weil wir endlich drüber sprechen können. Wir haben das Projekt lange unter Verschluss gehalten, weil wir nicht wollten, dass andere die Idee für sich aufnehmen. Jetzt kann ich endlich rausgehen und fragen: „Und - wie findest du’s?“

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Das „Blind Guardian Twilight Orchestra“ besteht aus zwei Dirigenten, 90 Musikern, 40 Chorsängern – teure Sache? André Olbrich: Wir haben in etwa an einer Million Euro gekratzt. Was es wirklich gekostet hat, kann ich nicht sagen, die Arbeit ging ja vor langer Zeit los, wir haben dafür immer mal wieder mehr, mal weniger ausgegeben. Aber das Geld ist nicht entscheidend. Wir wollten unseren Traum verwirklichen und wollen noch weiter – wir haben uns damit ein zweites Standbein neben unserer Band geschaffen.

Die Geschichte ist von Markus Heitz, einem der erfolgreichsten Fantasy-Autoren Deutschlands. Worum geht’s? André: Die Geschichte spielt zu Zeiten des Dreißigjährigen Krieges, es geht um den Söldner Nikolas, dessen dunkles Geheimnis auf dem Album gelüftet wird – er ist der erste Reiter der Apokalypse – und im Gegensatz zu seinen Brüdern der Meinung, dass die Menschheit noch etwas mehr Zeit verdient.

Sie sind eine der Hauptbands bei den legendären Wacken-Open-Airs, spielen in der Headline vor 80.000 bis 100.000 Fans. Was macht es mit Ihnen, wenn Sie da gefeiert werden – und was passiert in Ihnen, wenn das dann vorbei ist? Hansi: Es ist wie bei allen großen Konzerten: Erst die extreme Euphorie, die noch eine dreiviertel Stunde anhält, dann kommt die große Leere. Wir spielen mal 90, mal 120 Minuten, die erste Stunde rast so schnell, dass ich sie gar nicht mitkriege. Wenn ich mitten im Konzert versuche, den Moment zu packen, wird mir bewusst, dass gleich alles wieder vorbei ist. Unschönes Gefühl.

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Stimmlich gibt „Blind Guardian“-Frontmann Hansi Kürsch immer alles, wie hier vor Fans in London.

Sie sitzen hier brav in einer normalen Kneipe beim Tässchen Tee. Die Haare sind kurz, Tätowierungen nicht sichtbar, kaum Lederzeugs an Ihnen. Keine Probleme in der Rocker-Welt? Hansi: Stimmt. Früher war es Pflicht, dass man lange Haare und hautenge Jeans hatte, Leder trug – wenn das nicht so war, war man sofort ein Aussätziger. Es gibt inzwischen zig Bands mit Sängern, die kurze Haare haben. In dem Moment, in dem selbst Bands wie Metallica kurze Haare haben, ist das auch okay.

Es gibt auch das Klischee: Dosenbier, Zelt, Matsch, Orgien… André: Ist ja manchmal gar nicht schlecht – aber wir haben auch mit diesen Klischees wenig zu tun. Wir sind nicht von oben bis unten tätowiert, es raucht keiner, es nimmt keiner Drogen, wir sind auf einem Bio-Trip (lacht) – das ist ja schon was Außergewöhnliches für eine Metalband.

Sie gelten als „Freddie Mercury des Metal“… Hansi: Ehrt mich. Mit dem Vergleich kann ich gut leben. Aber mein Auftreten ist sehr Anti-Freddie – eher introvertiert.

Herausragendes Kennzeichen ist Ihre Stimme – haben Sie dafür ein Fitness-Programm? Hansi: Wenn ich auf Tour bin, mache ich den ganzen Tag gesangsgymnastische Übungen, bis es auf die Bühne geht. Nach dem Konzert dauert es dann einen ganzen Tag, bis ich wieder richtig singen kann. Und ich habe rausgefunden, dass wenig Alkohol hilft. Auf Tour oder in einer Produktion trinke ich keinen Tropfen, zu Hause mal ein Gläschen Wein, das war’s. Hat aber ein bisschen gedauert, bis ich das verinnerlicht hatte. 

Und wie reagieren die Ohren? Hansi: Wir sind Ende der 90er exzessiv getourt, ich habe während dieser Phasen ungesünder gelebt als das heute der Fall ist, irgendwann sagten die Ohren »Stopp!« – Hörsturz. Ich hatte drei Monate ernsthafte Probleme, weil das mit einem Tinnitus kombiniert war. Seitdem führe ich ein besseres Leben. Aber das linke Ohr hat gelitten, das Problem lässt sich nicht mehr beheben.

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André Olbrich trägt noch lange Haare, Sex & Drugs & Rock ’n’ Roll leben die Jungs aber schon lange nicht mehr.

André Olbrich und Sie sind die führenden Köpfe der Band. Wie haben Sie sich kennen gelernt? Hansi: Mit 17 saßen wir in derselben Klasse, haben rausbekommen, dass wir Heavy Metal mögen. Irgendwann bin ich in Andrés Band eingestiegen. Wir schrieben unsere eigenen Songs, waren sehr zielstrebig. Wir wollten unbedingt den Welt-Erfolg und sind sofort losmarschiert. Wir haben alles investiert, um ein halbwegs professionelles Demo aufzunehmen, über 200 Kassetten an alle Plattenfirmen und Magazine geschickt. Und es kam tatsächlich zum ersten Album…

…und zu einem Leben voller Sex & Drugs & Rock’n’Roll? André: Wir waren sicherlich keine Kinder von Traurigkeit, trotzdem lief das alles in ziemlich geordneten Bahnen ab. Wir wollten auch nicht nur im Tourbus sitzen, sondern lieber das ruhige Element für unser Leben. Einfach mal die Schotten dichtmachen können und sagen: Wir sind jetzt bei unserer Familie, sind in Krefeld, zuhause.

Wann haben Sie gemerkt, dass Sie alles richtig gemacht haben? Hansi: … als wir, ohne es selbst zu merken, den großen Durchbruch in Japan hatten. Als wir da 1992 erstmals landeten, standen Hunderte kreischender Teenager am Flughafen, mit denen wir nicht gerechnet hatten. Wir haben unseren Japan-Erfolg nach Europa transportiert, indem wir das Live-Album „Tokyo Tales“ machten, das uns hier den Start erleichterte. Das war für viele erstaunlich: Eine deutsche Band, die man hier kaum wahrgenommen hat, spielt schon große Hallen in Japan.

„Blind Guardian“: Stamm-Band in Wacken seit 1992

Blind Guardian ging 1987 aus der 1984 gegründeten Metal-Band Lucifer’s Heritage hervor, verkaufte rund 3 Millionen Tonträger. Erster großer Plattenerfolg war das Live-Album „Tokyo Tales“, das auf ihrer ersten Japan-Tournee 1992 entstand.

Ganz neu ist „Legacy Of The Dark Lands“, ein monumentales Orchesteralbum unter dem erweiterten Bandnamen „Blind Guardian’s Twilight Orchestra“. Hansi Kürsch singt mit dem Prager Philharmonieorchester, die Musik ist von André Olbrich.

Die Band spielte 1992 erstmals beim legendären Wacken-Festival, ist dort seitdem eine der Stammbands.