Corona-TalkSPD-Politiker wagt bei „Maischberger” drastische Prognose zum Wochenende

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Karl Lauterbach (SPD, Gesundheitspolitiker und Epidemiologe, war zu Gast bei Sandra Maischberger.

von Martin Gätke (mg)

Köln – Das Coronavirus legt Deutschland lahm. Am Donnerstagabend wurde bei „Maischberger. die Woche“ nicht nur darüber diskutiert, wie sich das Virus wohl am besten bekämpfen lässt. Die Experten machten im Talk noch einmal ganz deutlich: Diese Krankheit ist alles andere als eine einfache Grippe – und das gilt auf für die Jüngeren.

Der SPD-Gesundheitsexperte und Epidemiologe Karl Lauterbach gab zunächst eine Prognose ab, die viele überraschen dürfte: „Wir müssen auf der Grundlage des Verlaufes der Krankheit und von Beobachtungen aus anderen Ländern davon ausgehen, dass wir sieben- bis zehnmal so viele Infizierte haben, wie es die offiziellen Zahlen vermuten lassen“, erklärte er. „Ich glaube, dass wir schon bei 100.000 liegen.“ Bis zum Wochenende seien es auch offiziell vermutlich „weit mehr als 20.000 Infizierte”.

Das liege an der Verzögerung der Laborergebnisse, an der Inkubationszeit des Coronavirus und den vermutlich Erkrankten, die keine Symptome spürten. Die Zahl sei also als sehr viel höher einzuschätzen.

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Wer sich die Verlaufskurven der Infektionen aus Südkorea, Italien und Deutschland im Vergleich ansieht, dem fällt auf: Derzeit ähnelt die steile Kurve aus Deutschland der italienischen Kurve. Dort sind innerhalb kurzer Zeit viele Menschen an Corona erkrankt, aktuell sind es über 41.000. Die Südkoreaner hingegen haben es geschafft, den Anstieg relativ gering zu halten – mit sehr strengen Maßnahmen.

„Ohne rigorosere Maßnahmen werden auch wir das nicht hinbekommen“, meint Lauterbach. „Mein Eindruck ist: Viele haben in der Bevölkerung den Gong noch nicht gehört, den sozialen Kontakt einschränken zu müssen. Ehrlich gesagt ist meine Befürchtung: Wir hängen irgendwo zwischen dem, was den Südkoreanern gelungen ist – und den Italienern nicht.“

Das Virus, es ist alles anderes als harmlos. Das erklärt auch Lauterbach: „Es war ein Fehler, dass wir anfangs gesagt haben, die Krankheit läuft bei Jüngeren oder Menschen ohne Risikofaktoren wie eine Erkältung oder leichte Grippe ab“, gibt er zu. „De Facto ist es so: Wir wissen es nicht. Wir haben nun auch weitere Daten, die mich beunruhigen.“

Lauterbach erklärte, dass es neue Studien gebe, die Daten von Computertomographien (CT) zugrunde legen. „Menschen, die nicht beatmet werden müssen und eine Lungenentzündung haben, zeigen auf den CT-Bildern nach vier Wochen eine Veränderung im Lungengewebe. Veränderungen, die besorgniserregend sind, denn wir wissen nicht, ob sie wieder weg gehen.“ Der Politiker fügt selbstkritisch an: „Wir haben das Thema verharmlost. Auch ich.“

Auch Uwe Janssens, Chefarzt einer Intensivstation in Eschweiler, erklärt, man sei auf Grund dieser Studien mittlerweile dazu übergegangen, ein CT der Lunge durchzuführen. „Auch wenn der Abstrich negativ ist, ist Covid-19 bei einigen Patienten in der Lunge nachweisbar. Offensichtlich verschwindet das Material aus dem Rachen und lässt sich dann in den tiefen Atemwegen nachweisen“, erklärt er. Lauterbach mutmaßt: Diese spezifische Untersuchung werde in Zukunft immer mehr an Bedeutung gewinnen.

Coronavirus: Wie lässt es sich am besten bekämpfen?

Wie aber lässt sich das gefährliche Virus am effektivsten bekämpfen? Während Deutschland zusammen mit vielen anderen EU-Ländern auf Abschottung und Isolation setzt, schlagen andere Wissenschaftler eine ganz andere Strategie vor. Thomas Straubhaar, Wirtschaftswissenschaftler der Uni Hamburg, sagte der „Welt“: „Wenn sich junge und aktive Menschen gezielt anstecken würden, könnte man die wahren Risikogruppen viel besser schützen. Eine Strategie der kontrollierten Infizierung schickt nicht jüngere und aktivere Personen in Quarantäne. Stattdessen strebt sie direkt danach, die Hochrisikogruppen zu isolieren.“

Tatsächlich ist Großbritannien in der Bekämpfung von Covid-19 einen ähnlichen Weg gegangen, die niederländische Regierung und die Gesundheitsbehörde RIVM hoffen auch darauf, dass sich in der Bevölkerung eine sogenannte „Herdenimmunität“ einstellt. Dass also immer mehr Menschen eine Erkrankung überstehen und dann gegen erneute Infektionen mit dem Virus gefeit sind. Entsprechende Äußerungen von Ministerpräsident Mark Rutte sorgten für teils heftige Kritik.

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Armin Laschet (CDU) über „Herdenimmunität”: „Wir gehen einen anderen Weg”

Wurde ein ähnlicher Weg auch für Deutschland diskutiert? Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) gibt zu, dass der Weg „bemerkenswert“ sei. Aber: „Wir gehen einen anderen Weg und den gehen wir konsequent.“

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Doch ist „Herdenimmunität“ ein ernsthaftes Argument? Schnell alle Jungen infizieren, damit man einen „Durchseuchungsgrad“ erreicht? Infektiologin Susanne Herold erklärt: „Das ist komplett unrealistisch, das würde nicht funktionieren. Denn wir haben auch in dieser Altersgruppe Menschen, die besonders empfindlich sind und die Vorerkrankungen haben. Es ist gar nicht klar, wie man so etwas steuern wollte. Das Risiko ist zu groß.“

„Herdenimmunität” aufbauen? Chefarzt: „Absolut gefährlich”

Chefarzt Janssen findet die Idee zwar auch spannend, aber gleichzeitig „absolut gefährlich“. Denn: „Wir wissen über das neue Virus viel zu wenig. Ich hätte da größte Bauchschmerzen, weil mir zu wenig Daten vorliegen.“

Dem stimmt auch Lauterbach zu: „Die Maßnahme würde bedeuten, dass wir Millionen Leute beamten würden. Das ist absolut abwegig. Es ist ein viel zu riskantes Experiment und nicht durchdacht. Und es wäre immer noch nicht geklärt, was mit den Patienten auf lange Sicht passiert, die solch eine Lungenentzündung hatten.“