Das Phänomen Greta ThunbergKölner Ex-Schulleiter findet klare Worte zur Aktivistin

Stockholm – Ein Mädchen auf einem Boot mitten im Atlantik. Ein Bild vom August 2019 zeigt die 16-Jährige allein auf dem Deck, hinter ihr nichts als der weite Horizont. Sie blickt direkt in die Kamera, lächelt. Aber ihre Augen gucken ernst und traurig. Warum die ganze Welt über die 16-Jährige und ihre Reise – die sich anfühlt „wie Camping auf der Achterbahn“, wie sie selbst sagt – berichtet, liegt daran, dass sie nicht irgendein Mädchen ist. Sondern Greta Thunberg.

Für die einen ist sie Vorbild und Lichtgestalt, für die anderen der Anstoß für endlose Hasskommentare im Netz. Unleugbar ist Greta Thunberg der Kopf einer weltweiten Protestbewegung gegen den Klimawandel, die vor zwei Jahren noch undenkbar gewesen wäre.

Doch wer ist das Mädchen hinter dem Scheinwerferlicht?

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Greta Thunberg: Das Mädchen auf der Straße

Greta Thunberg allein mit Schild

So begann ihr Protest: Greta Thunberg mit einem selbstgemalten Schild mit der Aufschrift „Skolstrejk för Klimatet“ (Schulstreik fürs Klima).

Im Jahr 2018 setzte sich die damals 15-Jährige allein vor den Reichstag in Stockholm und protestierte für mehr Klimaschutz. Eigentlich hätte auch sie an diesem Tag in der Schule sitzen müssen. Das neue Schuljahr hatte für Greta gerade begonnen, neunte Klasse, also dem letzten Jahr vor dem Wechsel aufs Gymnasium.

Doch statt die Schulbank zu drücken, malte sie ein Protestschild mit der Aufschrift „Skolstrejk för Klimatet“ (dt.: Schulstreik fürs Klima) und ging auf die Straße. Bis zum Tag der schwedischen Parlamentswahl Anfang September werde sie aus Protest fürs Klima nicht zur Schule gehen, kündigte Greta (hier lesen Sie mehr: Hätten Sie es gewusst? Greta Thunbergs Mama sang beim ESC) damals auf einem DIN-A4-Zettel an, von dem sie einige Kopien vor ihr Protestschild gelegt hatte.

„Ich habe mir damals gedacht, dass ich etwas tun muss“, sagte Thunberg in einem schwedischen Podcast einer Mitschülerin. Doch wie konnte aus diesem einsamen Protest einer damals 15-Jährigen eine weltweite Bewegung entstehen?

Greta Thunberg am Kopf von Demo

Greta Thunberg führt eine Klima-Demonstration im schweizerischen Lausanne an.

Greta Thunberg als Ikone einer weltweiten Protestbewegung

Mittlerweile wird jeden Freitag in rund 100 Ländern regelmäßig fürs Klima protestiert. Als die Schülerin zum ersten Mal vor dem schwedischen Parlament ihr Schild aufstellte, wurde sie von niemandem beachtet. Die Leute liefen einfach an ihr vorbei. Heute ist die junge Schwedin eines der bekanntesten Gesichter der Erde, ihrem Vorbild zum Klimaprotest folgen Abertausende, vor allem jüngere Menschen in aller Welt.

Vor allem in Deutschland ist die Bewegung „Fridays for Future” besonders stark gewachsen. „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“, skandieren junge Deutsche immer freitags, um die Bundesregierung zu einem beherzteren Einsatz gegen die Klimakrise aufzurufen. Der Ruf der Klimademonstranten ist längst in Bundestag und Kanzleramt angekommen, Debatten wie die über eine CO2-Steuer sind die Folge.

Damit hat Thunberg, die selbst mehrmals bei Klimaprotesten in Deutschland vorbeischaute, letztlich auch die deutsche Gesellschaft verändert.

„Greta und Fridays for Future haben sicherlich die Politik und Öffentlichkeit aufgeweckt“, sagt Klimaforscher Stefan Rahmstorf. „Die Debatte in Deutschland hat sich verändert, viele nehmen das Thema jetzt erstmals ernst.“

Kölner Ex-Schulleiter: „Wir haben sie gebraucht“

greta thunberg hambacher forst

Greta Thunberg im Hambacher Forst.

Wie viel Sprengkraft die Person Greta Thunberg auch für uns in Nordrhein-Westfalen bedeutet, zeigte etwa Thunbergs Besuch im Braunkohletagebau Hambach. Selbst NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sah sich damals zu einer Stellungnahme angestoßen. „Wir wollen den Hambacher Forst retten, wie es der Kohlekompromiss vorsieht, und das wird hoffentlich auch gelingen. Aber das Weltklima ist damit nicht gerettet. Wir brauchen jetzt eine Klima-Außenpolitik“, sagte er der „Bild am Sonntag“.

Dieter Gehringer (66), ehemaliger Schulleiter an der Henry Ford Realschule in Köln-Chorweiler, glaubt, „wir haben den Druck von Greta und allen, die ihr nachfolgen, offensichtlich gebraucht“. Gehringer ist heute selbst aktiv in der „Parents for Future“-Bewegung. Durch ihre Strahlkraft habe es das Mädchen geschafft, was vor ihr einfach nicht gelungen sei. „Wir haben es seit Jahrzehnten gewusst und nichts zumindest aber zu wenig getan.“

Schulleiter

Ex-Schulleiter Dieter Gehringer setzt sich für die „Parents for Future“-Bewegung ein.

Gehringer sieht allerdings auch eine zunehmend negative Entwicklung in der öffentlichen Fokussierung auf Greta Thunberg. „Ich finde es gefährlich, wenn sich die Berichterstattung so auf eine Person beschränkt. Damit wird es sehr leicht, Nebenkriegsschauplätze zu eröffnen, wie man jetzt im Detail in der Diskussion um ihre Reise beobachten kann.“

Klimaprotest in NRW emanzipiert sich von Greta Thunberg

Chantal Reiher

Chantal Reiher (20), Sprecherin bei der OG Rheinisch Bergischer Kreis.

Auch anderen Stimmen aus der Klimaprotestbewegung in NRW ist eine Tendenz zur Emanzipation von der Ikone Greta anzumerken. „Sind wir mal ehrlich, ich glaube nicht, dass wir ohne Greta auf die Straße gegangen wären, zumindest nicht so in dem Maße, wie es heute der Stand ist“, glaubt Chantal Reiher (20), Sprecherin der „Fridays for Future“-Bewegung im Rheinisch Bergischen Kreis.

Ihre Motivation, für eine bessere Klimapolitik zu demonstrieren, nimmt Reiher aber nicht aus dem Vorbild einer Person. „Viel mehr hat mich mein eigenes Denken mobilisiert, weil ich es echt traurig finde, wie viel Müll eigentlich produziert wird, der so oft unnötig ist.“

Ähnlich äußert sich Fabian Müller (15), der Podcasts für den „Fridays for Future“-Protest erstellt. Auch er respektiert Greta Thunbergs zentrale Rolle in der Bewegung. „Aber für mich ist sie kein ‚Gott‘, sondern ein Mensch, der als erstes auf dieses ganze Thema aufmerksam gemacht hat“, sagt Fabian.

Fabian Müller Fridays for Future

Fabian Müller (rechts, rote Jacke), Fridays For Future Podcast.

Greta Thunberg – was ihre Krankheit mit ihrem Protest zu tun hat

Das Motiv für Greta Thunbergs Protest ist kein Geheimnis. Was sie über den Klimaschutz sagt, sagen Wissenschaftler bereits seit Jahrzehnten. Greta selbst hat in der Schule das erste Mal vom Klimawandel gehört und sich daraufhin intensiv mit dem Thema beschäftigt. Doch das haben auch viele anderen vor ihr. Was also macht sie und ihren Umgang mit dem Klimaschutz zu etwas Besonderem?

greta thunberg schüchtern

Greta Thunberg ist mit dem Asperger-Syndrom zur Welt gekommen.

Was viele nicht wissen: Greta Thunberg ist mit dem Asperger-Syndrom geboren worden, einer Variante des Autismus, bei der im Regelfall weder eine Intelligenzminderung noch eine sprachliche Entwicklungsverzögerung vorliegt. Personen mit Asperger haben jedoch oft extreme Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion. Für Greta war es in ihrer Kindheit einst schon ein Erfolg, vor die Haustür und in den Supermarkt zu gehen.

Greta Thunberg spricht vor Masse

Tausende Schüler hören Greta Thunberg bei einer Demonstration in Berlin sprechen.

In einem Interview mit dem ZDF erklärte die 16-Jährige, warum ihre Krankheit der Grund für ihren Protest ist. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Wahrnehmung und Reizverarbeitung entwickeln Menschen mit Asperger häufig außergewöhnliche Interessen und Begabungen. Als Greta als Mädchen mit dem Thema Klimawandel konfrontiert wurde, muss die geistige Auseinandersetzung damit ungewöhnlich intensiv gewesen sein.

Greta Thunberg: „Ich sehe die Welt aus einer anderen Perspektive“

„Es hat damit angefangen, dass ich damit begonnen habe das Licht zu Hause auszuschalten, um Strom zu sparen“, erinnert sich Thunberg. „Außerdem habe ich Ladekabel aus der Steckdose gezogen.“ Als ihre Eltern sie daraufhin fragten, was sie da mache, erzählte sie vom Klimawandel. „Ich sehe die Welt aus einer anderen Perspektive – Schwarz und Weiß“, erklärt Greta (hier lesen Sie mehr: Barack Obama sagt in München, was er wirklich von Greta Thunberg hält) weiter.

Wenn sie sich Statistiken zu Emissionen ansieht, dann sieht sie darin eine ganz konkrete Handlungsaufforderung. „Mein Gewissen lässt nicht zu, nicht zu handeln. Ich muss etwas tun – ansonsten kann ich nachts nicht schlafen.“