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Riesige Angst um andereCorona zwingt uns zu schwersten Entscheidungen unseres Lebens

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Ein älteres Paar küsst sich Mitte Juni in Barcelona (Spanien) in einem Seniorenheim durch eine Plastik-Trennwand, um sich vor einer Infektion zu schützen. Derzeit stehen viele Menschen wegen der Corona-Pandemie vor schweren Entscheidungen.

von Martin Gätke (mg)Dorothea Köhler (dok)Christian Spolders (spol)Mirko Wirch (wir)

Köln/Bonn – Corona hat unser Leben, unseren Alltag, unser Zusammensein innerhalb kürzester Zeit massiv verändert.

Seit Tagen sind die Zahlen der Corona-Neuinfektionen fünfstellig, das Infektionsgeschehen beschleunigt sich immer weiter. Die zweite Welle hat längst begonnen, in ganz Deutschland gibt es neue Corona-Maßnahmen ab dem 2. November.

Was bedeutet Corona für uns?

Doch was bedeutet das für uns, für jeden Einzelnen und für unsere Familien und Freunde? Die Pandemie zwingt uns derzeit zu den schwierigsten Entscheidungen unseres Lebens.

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Auf der einen Seite wollen wir die anderen schützen. Wir wollen auf keinen Fall dafür verantwortlich sein, das Virus zu übertragen.

Doch auf der anderen Seite wollen wir noch einmal Menschen nah sein, die bald sterben könnten. Wir wollen bei den einmaligen Ereignissen unserer Freunde oder unserer Familie dabei sein. Ereignissen, die unsere Liebsten nur ein einziges Mal in ihrem Leben haben.

Doch was passiert, wenn die für uns so wichtigen Menschen plötzlich an Covid-19 erkranken – und vielleicht sogar daran sterben? Wer könnte sich jemals verzeihen, daran verantwortlich zu sein? Und wie schwer wiegt die Entscheidung, sie deshalb nicht zu sehen? Das Gefühl, sie im Stich zu lassen?

Unsere Redaktion hat ihre schwersten Entscheidungen während der Corona-Pandemie gesammelt.

Die kranken Großeltern besuchen – ja oder nein?

Meine Großeltern (86 und 87 Jahre alt) wohnen in einem kleinen Dorf in Mecklenburg-Vorpommern, ganz weit weg von meinem Zuhause in Bonn. Seitdem ich in NRW lebe und arbeite, versuche ich weiterhin, die beiden so oft es geht zu besuchen. Doch seit einigen Jahren hat sich ihr Gesundheitszustand dramatisch verschlechtert, das Alter holt irgendwann jeden von uns ein. Für mich wurde es immer wichtiger, die beiden so oft es geht zu sehen.

Doch dann kam Corona. Am Telefon merkte ich, dass es meinen Großeltern allmählich schlechter geht. Ihre Stimmen wurden schwächer. Gleichzeitig hatten die beiden wahnsinnige Angst vor einer Infektion mit dem Virus – schließlich gehören sie schon allein aufgrund ihres Alters zur Hochrisiko-Gruppe. Meine Angst wuchs, dass ich die beiden in diesem Jahr verlieren könnte – ohne sie noch einmal gesehen zu haben.

Trotz aller Maßnahmen: Ein Rest-Risiko besteht immer, die Angst bleibt

Ich stand also vor einer der schwierigsten Entscheidungen meines Lebens: Besuche ich die beiden und riskiere, dass ich die beiden vielleicht infiziere? Schließlich komme ich aus Bonn, das mittlerweile auch eine hohe Inzidenzzahl aufweist. Und auch wenn ich jede erdenkliche Maßnahme mit Masken, Desinfektionsmittel, Abstand halten und Lüften einhalte – ein Risiko besteht immer. Und wenn die beiden am Ende meinetwegen sterben?

Ich habe lange mit den beiden darüber gesprochen – und bin am Ende gefahren. Der Besuch war alles andere als entspannt: Die ganze Zeit über hatte ich Angst, etwas falsch zu machen. Den beiden vielleicht zu nahe zu kommen. Jeder saß in einer Ecke des Raumes, die Fenster weit geöffnet, die Gesichter versteckt hinter den Masken. Es war ein eigenartiges Gefühl. War es das wert?

Nach dem Besuch rief ich die beiden täglich an: Geht es euch gut? Habt ihr Symptome? Ich habe immer mit Bangen auf die Antwort gewartet. Vermutlich würde ich mich heute nicht noch einmal so entscheiden.

Meine Mutter will einmal in ihrem Leben Geburtstag feiern – ohne mich?

Seit ich denken kann, hat meine Mutter ihren Geburtstag nicht gefeiert. Irgendwie fand sie nie Zeit dafür, opferte fast 40 Jahre ihres Lebens der Familie – Kinder, Haushalt und die Pflege ihres Mannes standen täglich an erster Stelle. Auch an ihren Geburtstagen.

Dabei hat sie nie über ihre fehlenden Feierlichkeiten geklagt.

Im Gegenteil: Fast beneidenswert bescheiden sah sie mit Weitsicht darüber hinweg. Nun stand kürzlich ihr 60. Geburtstag ins Haus. Einmal im Leben wollte sie – gemäß der geltenden Corona-Auflagen – mit den engsten Angehörigen ausgelassen ihren Ehrentag feiern. Schnell fanden sich 20 Namen auf der Einladungsliste.

Geburtstag meiner Mutter: Aus Risikogebiet anreisen, um ihr zu gratulieren?

Da sie selbst mit Bluthochdruck und Autoimmunerkrankungen zu kämpfen hat, gehört sie zur Risikogruppe. Das ist ihr bewusst. Somit verkleinerte sie den Kreis der Gäste schweren Herzens auf 10. Als sich die Meldungen zur Steigerung der Risikogebiete überschlugen, wurde mir als Tochter mulmig. Sollte ich aus einem Risikogebiet anreisen, nur um persönlich zu gratulieren?

Ein ungutes Gefühl legte sich mir wie ein grauer Schleier aufs Gemüt. Das Gewissen schlug sich am Ende auf die Seite des Verstandes. Tiefe Traurigkeit überkam mich, die Tränen konnte ich mir kaum verkneifen. Meine innere Zerrissenheit gewann und meine Entscheidung stand fest. Ich blieb in Köln und tat damit, was ich für richtig hielt. Eine Stunde später stand ich bei der Post am Schalter und schickte das Geschenk für meine Mutter ab. So war es unumgänglich.

„Mama, ich kann nicht nach Hessen kommen“

Ich rief sie danach an. Mit gebrochener Stimme – und der Erwartung, meine Mutter enttäuscht zu haben. Doch es kam ganz anders, als ich je gedacht hätte. Nach einem kläglichen „Mama, ich kann nicht nach Hessen kommen“ blieb sie ganz cool. Mit mahnender Stimme sagte sie: „Das verstehe ich. Weißt du, wenn die Leute da draußen ihre Masken immer tragen würden, dann hätten wir jetzt zusammen feiern können. Dir mache ich keine Vorwürfe. Es sind die, die sich nicht an die Regeln halten, die mich sauer und traurig machen.“

Am Ende hoffe ich, dass meine Mutter irgendwann wieder ihren Geburtstag feiern will – und die Gesellschaft bis dahin so viel Vernunft gewonnen hat, dass ein Familienfest für jeden von uns ohne Gewissensbisse möglich ist.

Hochzeit absagen, um uns alle zu schützen – oder das Risiko eingehen?

Obwohl wir ihm sagten, dass er doch noch ein Jahr warten könne, bis die Krise vielleicht vorbei ist: Der Bruder meiner Partnerin wollte unbedingt noch in diesem Jahr heiraten. 65 Gäste waren bei der Feier – und wir am Ende auch. Zu diesem Zeitpunkt waren in NRW bei privaten Feiern noch 150 Teilnehmer erlaubt, wir hatten also Glück.

Doch wir hatten Sorge, dass diese Feier dazu beitragen könnte, das Virus zu übertragen. Zu oft gab es Nachrichten über private Feiern in Deutschland, die zu einem „Super-Spreading-Event“ wurden.

Corona war Dauer-Thema bei den Gästen

Dennoch gab es Diskussionen in der Familie: Zum einen wollte der Bruder die Hochzeit auf keinen Fall verschieben. Zum anderen fand man unsere Bedenken übertrieben. Meine Partnerin fühlte sich zudem unter Druck gesetzt, weil sie nicht der Hochzeit ihres einzigen Bruders fernbleiben wollte.

Wir standen also vor der schwierigen Entscheidung: Sollten wir bei der Hochzeit nicht dabei sein, um die Gäste und uns zu schützen – und riskieren, die Beziehung zur Familie zu belasten? Oder das Risiko eingehen?

Am Ende waren wir viel an der frischen Luft, doch Corona war natürlich das Dauer-Thema bei den Gästen.

Bei der zweiten Hochzeit ließen wir die Party sausen

Anschließend waren wir bei einer weiteren Hochzeit eingeladen – diesmal war es die Hochzeit einer Freundin. Wir waren bei der Trauung in der Kirche zu Gast, haben dann die anschließende Party im Saal aber sausen lassen und sind nach Hause gefahren. Immerhin hatte die Braut vollstes Verständnis dafür.

In der Einladung war schon eine lange Liste mit Verhaltensregeln wegen der Pandemie enthalten, von den rund 100 eingeladenen Gästen kamen am Ende rund 80 – bei der Party blieben dann 60.

Kommt die Familie wieder zusammen – oder lieber nicht?

Wenn die Tage und die Sonnenstunden kürzer werden, dann freuen sich viele auf die anstehende Advents- und Weihnachtszeit.

Auch in unserer Familie ist diese Zeit jedes Jahr eine der schönsten im Jahr. Der Hauptteil meiner Familie lebt wie ich in der Schweiz. Unsere Verwandtschaft ist jedoch seit jeher im hohen Norden, in Hannover, beheimatet. Die Weihnachtszeit ist neben der Oster- und Sommerzeit die einzige Zeit im Jahr, in der die beiden Familienteile für eine kurze Zeit zusammenfinden.

Weihnachten 2020 wird nicht wie alle anderen Weihnachten zuvor

Auch in diesem Jahr wollten wir „Schweizer“ die „olle Verwandtschaft“ zu Weihnachten besuchen gehen. Wie jedes andere Jahr auch. Doch dieses Jahr ist nicht wie jedes andere.

Weihnachten 2020 wird nicht wie die anderen Weihnachten zuvor. Coronavirus „sei Dank“. Auch unsere Weihnachtspläne hat das Coronavirus durchkreuzt.

Der Mann meiner Tante leidet an MS (Multiple Sklerose) und gehört daher wie viele andere auch zur Risikogruppe in der Coronazeit.

Am Ende zählt Gesundheit der Familie mehr als alles andere

Weil wir alle trotzdem versuchen, soweit wie möglich, unser Leben und unseren Alltag unter den gegebenen Bedingungen fortzusetzten und die Schweiz bereits seit längerem mehrere „Corona-Hotspots“ hat, haben wir uns schweren Herzens dazu entschieden, den traditionellen Weihnachtsbesuch dieses Jahr abzusagen.

Das leckere Weihnachtsessen, die Geschenke unter dem bunt geschmückten Baum, das Singen von Weihnachtsliedern und das gemütliche Beisammensitzen – all das fällt dem Coronavirus zum Opfer.

Doch am Ende zählt die Gesundheit der Familie mehr als alles andere. Dafür wird das Weihnachtsfest 2021 hoffentlich dann umso besinnlicher und festlicher gefeiert. (red)