Ramstein-KatastropheSeine Mutter zog ihn aus den Flammen – sein Vater starb qualvoll

ramstein3

Marc-David Jung zeigt am Rechner ein Foto von 1988, nach dem Ramstein-Unfall.

Losheim – Ramstein. Der Name der 7700-Einwohner-Gemeinde ist bis heute Synonym für das Inferno. Bei der größten Flugtag-Katastrophe auf dem US-Militärflughafen in Deutschland starben vor genau 30 Jahren  70 Menschen, etwa 350 wurden schwer verletzt. Viele Opfer und Hinterbliebene leiden bis heute. Am Jahrestag  besonders.

Marc-David Jung (34) war vier Jahre alt, als  er mit seiner Familie auf der Flug-Schau in Ramstein war. Der brennende Kampfjet stürzte  in seiner Nähe zu Boden. „Ich erinnere mich nur noch, dass ich vorher ein Eis gegessen habe und am Boden spielte.“ Die Feuersbrunst fügte dem Jungen schwerste Verbrennungen zu – im Gesicht, an den Händen, an den Beinen. Seine Mutter zog ihn aus den Flammen. Sein Vater starb.

30 Jahre später hat Jung mehr als 30 Operationen hinter sich. „Ich bin ein positiver Mensch. Ich akzeptiere, was damals passierte – und blicke nach vorne“, sagt er. Er lebt in Losheim im Saarland und arbeitet als Programmierer bei einer IT-Firma in Luxemburg. „Ich führe ein ganz normales Leben und muss sagen, ich habe im Ganzen noch Glück gehabt“.

Es geschah bei der letzten Programmnummer: Drei Flugzeuge der italienischen Kunstflugstaffel „Frecce Tricolori“ stießen in rund 40 Metern Höhe zusammen. Eines von ihnen stürzte brennend in die Menschenmenge und explodierte.

ramstein2

Inferno in der Luft: Der 28.8.1988 wurde zum Mahnmal.

Jung sei „ein gutes Beispiel“, wie man es nach einer Katastrophe erfolgreich zurück ins Leben schaffen könne, sagt Trauma-Expertin Sybille Jatzko aus Krickenbach bei Kaiserslautern. Sie hat mit ihrem Ehemann nach dem Unglück eine psychosoziale Nachsorgegruppe gegründet. Sie besteht noch heute.

,,Papa, es ist so dunkel"

Viele kamen nach dem Unglück nicht mehr klar. Das Elternpaar beispielsweise, das seine neunjährige Tochter verlor. Das Mädchen sei „frontal verbrannt“ gewesen, habe immer wieder geschrien: „Papa, Papa, bleib bei mir, es ist so dunkel“. Schwer traumatisiert war auch ein Mann, der nach dem Unglück zehn Jahre lang nur zu Hause saß. Er hatte seine Frau, die im achten Monat schwanger war, verloren.

ramstein

Die Grafik illustriert den Verlauf der Horror-Show.

Das Einatmen der heißen Luft und des Kerosins nach dem Unglück habe bei einigen Besuchern der Flugschau Atemwege verbrannt. Jatzko schätzt: „Wenn wir alle dazu zählen, die an den Folgen gestorben sind, dann kommen wir mit Sicherheit auf über 100 Tote. Durch körperliche und seelische Schäden.“

Zum 30. Jahrestag haben sich jetzt etliche Opfer zum ersten Mal gemeldet. Mehr als 100 Betroffene hätten sich zum Gang zur Absturzstelle angekündigt, sagt Jatzko. So viele wie noch nie zuvor.

Sein Stiefbruder kann es nicht ertragen

Marc-David Jung hat mit Jatzkos Hilfe seinen eigenen Weg gefunden. „Mein Fall ist anders als die meisten anderen. Ich erinnere mich nicht an das Ereignis, deshalb leide ich auch nicht jedes Jahr am Jahrestag neu. Für mich ist es ein Tag wie jeder andere.“ Sein älterer Stiefbruder hingegen nehme sich Ende August immer frei. „Er sagt, dass mit ihm in dieser Woche nichts anzufangen sei, weil er emotional zu belastet sei.“

Heute engagiert Jung sich in der Stiftung Katastrophennachsorge, die Jatzko vor wenigen Monaten gegründet hat. Ihr Ziel: „Wir sehen uns als Schicksalsgemeinschaft, die längerfristig mit den Menschen zusammenarbeitet. Die mit ihnen das erarbeitet, was sie brauchen.“  Und das sind vor allem Therapieplätze bei niedergelassenen Psychologen und in Kliniken.

Jung, der mit seinem Äußeren  trotz der Narben zufrieden ist („Es ist das Maximum erreicht. Das ist einfach so, und das akzeptiere ich.“) kommt dieses Mal auch zur Gedenkveranstaltung zum 30. Jahrestag nach Ramstein. Zur Unglückszeit um 15.48 Uhr wird er auf der Airbase stehen.

Sybille Jatzko weiß, wie belastend die Zeit ist. „Anfang August, das sagen alle, die wir kennen, und das sind 350 bis 400, beginnt diese Unruhe und diese Spannung. Und hört Ende August erst auf. Immer. Seit 30 Jahren völlig gleich.“