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Rache einer MutterAls Marianne Bachmeier den Mörder ihrer Tochter tötete

von Maternus Hilger (hil)

Lübeck – Vor 40 Jahren erschoss Marianne Bachmeier in Lübeck den Mörder ihrer Tochter Anna (7) – der bis heute spektakulärste Fall von Selbstjustiz, der die Gemüter erhitzte und die Nation polarisierte wie nur wenige Fälle der deutschen Kriminalgeschichte.

  • Marianne Bachmeier erschoss den Mörder ihrer kleinen Tochter
  • Ihr Fall erhitzte die Gemüter: War es Vorsatz oder nicht?
  • Auch das Leben der Rache-Mutter endete früh

Marianne Bachmeier schmuggelte eine Waffe ins Gericht

Viele zeigten Verständnis für die „Rache“ der verzweifelten Mutter. Andere forderten eine harte Bestrafung der damals 31-Jährigen, die auch Jahre nach den Todesschüssen das Rampenlicht suchte – und bis zu ihrem Tod keinerlei Reue zeigte.

Landgericht Lübeck, 6. März 1981. Es ist kurz vor 10 Uhr. In Saal 157 läuft gerade der dritte Prozesstag im Mordfall Anna Bachmeier. Auf der Anklagebank sitzt Klaus Grabowski, ein gelernter Fleischer. Da nähert sich Marianne Bachmeier plötzlich Grabowski von hinten und zieht ein Pistole aus ihrer Manteltasche, die sie in das Gericht geschmuggelt hat.

Marianne Bachmeier: Acht Schüsse auf den Mörder

Achtmal feuert sie mit der Beretta, Kaliber 22, auf den Mann, der ihr Kind umgebracht hat. Sechs Schüsse treffen den 35-Jährigen, der noch im Gerichtssaal stirbt. „Hoffentlich ist er tot“, sagt sie nur, als sie sich widerstandslos festnehmen lässt.

Rund zehn Monate zuvor, am 5. Mai 1980, war ihre Tochter Anna, die von denen, die sie kannten, als fröhliches Kind beschrieben wird, von Grabowski getötet worden. An jenem Tag hatte sie die Schule geschwänzt und war auf dem Weg zu einer Freundin ihrem späteren Mörder in die Hände gefallen.

Anna Bachmeier (7) mit Strumpfhose erdrosselt

Bevor er die Siebenjährige mit einer Strumpfhose erwürgte, hatte Grabowski sie stundenlang in seiner Wohnung gefangen gehalten. Ob er sie auch missbraucht hat, wurde nie offiziell geklärt. Die Leiche vergrub er in einem Karton an einem Kanal. Schon wenig später konnte er nach einem Hinweis seiner Verlobten in einer Kneipe festgenommen werden.

Grabowski war voll geständig, stritt aber ab, das Mädchen sexuell missbraucht zu haben. Er gab zu Protokoll, Anna habe angeblich von ihm eine Mark erpressen wollen und damit gedroht, ihrer Mutter zu erzählen, dass er sie unsittlich berührt habe.

Als Motiv für den Mord nannte er seine Angst, wieder ins Gefängnis zu müssen. Wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern war er vorbestraft. In der Psychiatrie hatte er sich zwar freiwillig kastrieren lassen, dann aber mit gerichtlicher Genehmigung eine Hormonbehandlung gemacht, um seine Sexualfunktion wiederherzustellen.

Marianne Bachmeier: Geständnis in einer Talk-Show

War dies der Auslöser für Marianne Bachmeiers Selbstjustiz, die anfangs noch beteuert hatte, sie habe im Affekt geschossen. Sie sagte da wohl nicht die Wahrheit. Denn 1995 erklärte sie in der ARD-Talkshow „Fliege“, dass sie ihn nach reiflicher Überlegung erschossen habe, damit er nicht weiter Lügengeschichten über ihre Tochter verbreite. Im Keller ihrer Szenekneipe, die sie in Lübeck betrieb, habe sie vor der Tat auch Schießübungen gemacht, erzählte eine frühere Freundin in einer ARD-Doku.

Während Bachmeier in U-Haft saß, verkaufte sie ihre Lebensgeschichte für rund 250.000 D-Mark exklusiv an den „Stern“, um damit u.a. ihre Anwaltskosten zu bestreiten. Es sind Geschichten über ihre unglückliche Kindheit und Jugend in Sarstedt bei Hannover, über ihren autoritären Vater, die Scheidung ihrer Eltern, über gescheiterte Beziehungen – alles in allem die gebündelte Tristesse einer verwundeten Frau, die sich offensichtlich nach Zuwendung sehnte – und immer wieder enttäuscht wurde.

Marianne Bachmeier: In ihrer Jugend vergewaltigt

Mit 16 war sie das erste Mal schwanger, dann wieder mit 18. Kurz vor der Geburt des zweiten Kindes wurde sie vergewaltigt. Beide Töchter gab sie kurz nach der Geburt zur Adoption frei. Doch als sie 1973 – mit 23 Jahren – Anna bekam, entschloss sie sich, das Kind zu behalten.

Später dachte die alleinerziehende Mutter daran, auch dieses Kind in die Obhut einer Pflegefamilie zu geben – für viele ein Indiz, dass sie doch nicht die liebende Mutter war, die sie vorgab zu sein.

Am 2. November 1982 begann schließlich der Prozess gegen Marianne Bachmeier vor dem Schwurgericht in Lübeck. Hatte sie vorsätzlich, von Rachegelüsten getrieben, oder im Affekt gehandelt? Die Anklage lautete erst auf Mord, später auf Totschlag. Das Interesse war riesig. Aus aller Welt waren Reporter angereist, die Stimmung war extrem aufgeheizt und emotional aufgeladen.

Fall Marianne Bachmeier: Drohbriefe ans Gericht

Drohbriefe erreichten das Gericht – Tenor: Sollte sie nicht freigesprochen werden, müssten Staatsanwalt und Richter um ihr Leben fürchten. Viele Menschen äußerten offen Sympathie für die „Rachemutter“ und die „gerechte Strafe“ für den Mörder.

Andere wiederum betonten völlig zu Recht, dass Lynchjustiz in einem Rechtsstaat nichts zu suchen habe. Niemand dürfe sich selbst zum Richter aufspielen – mag das Verbrechen auch noch so schrecklich und unfassbar sein.

Am 2. März 1983 schließlich fiel das Urteil: Sechs Jahre Haft wegen Totschlags und unerlaubten Waffenbesitzes. Nach drei Jahren Haft kam Marianne Bachmeier vorzeitig frei, heiratete – und zog 1988 mit ihrem Mann nach Nigeria. Zwei Jahre später ließ sie sich scheiden und siedelte nach Palermo über, wo sie in einem Hospiz Sterbende pflegte.

Marianne Bachmeier ließ ihr Sterben filmen

Das Interesse an ihrem Fall ebbte langsam ab, obwohl sie mit Interviews und in Talkshows präsent blieb. Als Marianne Bachmeier 1996 unheilbar an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankte, kehrte sie nach Deutschland zurück und suchte als Todkranke ein letztes Mal die mediale Aufmerksamkeit.

Ihr langsames Sterben ließ sie von NDR-Reporter Lukas Maria Böhmer filmisch dokumentieren – der Abschied von einer bis zuletzt umstrittenen Frau, die ihre Tat nie bereut hat.

Am 17. September 1996 starb sie mit nur 46 Jahren. Ihre letzte Ruhe fand die Zeit ihres Lebens rastlose Frau im Grab ihrer Tochter Anna auf dem Lübecker Friedhof, das mittlerweile eingeebnet ist. Mit ihrem Namen aber verbunden bleiben wird für immer ihr aufsehenerregender Fall von Selbstjustiz.