Greta würde sich freuenIm abhörsicheren Kanzlerwagen per Bahn durch die Republik

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Blick auf die Restaurationsarbeiten am ehemaligen Luxus-Waggon von Adolf Hitler. Mit dem „Salonwagen 10 242“ sind tatsächlich später auch die Bundeskanzler Konrad Adenauer und Willy Brandt unterwegs gewesen.

Moskau – Als Kanzler Konrad Adenauer (CDU) im Februar 1958 Urlaub an der französischen Riviera machte, gab es offensichtlich einen eklatanten Mangel: In seinem Feriendomizil fehlten Kopfkissen für einen geruhsamen Schlaf. Flugs borgte er sich zwei Stück aus dem Eisenbahnwagen 10205 des Kanzler-Sonderzuges. So steht’s im „Mängelbuch“ – weiß die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn.

Kanzlerwagen: Bahnfahren war damals der letzte Schrei

Bahnfahren war für Politiker damals en vogue. Adenauer reiste auf Wahlkampftour mit dem Zug quer durch die Republik: 9930 Kilometer kamen vom 4. Juli bis 16. September 1961 zusammen.

Auf diplomatischem Parkett hatte der Salonwagen 10205 seinen wohl größten Auftritt, als er im September 1955 nach Moskau fuhr: „In Ermangelung einer diplomatischen Vertretung nutzten Adenauer und die deutsche Delegation den Salonwagen in Moskau als Refugium für ungestörte Gespräche“, so das Haus der Geschichte.

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Er diente also als „Botschaft“ – und galt als abhörsicher. Im Sonderzug fuhr auch Adenauers erster Dienst-Mercedes mit – der „Adenauer Mercedes“ 300.

Auch Brandt fuhr noch Bahn

Nach Kanzler Willy Brandt (SPD) war die Zeit des Reisens mit Sonderzügen und Salonwagen aber weitgehend vorbei.

Sein Nachfolger Helmut Schmidt (SPD) bekam zwar noch einen neuen Salonwagen. „Dann waren Flugzeug, Hubschrauber und Auto aber erste Wahl.“ Die Bahn für die deutsche Politprominenz fuhr aufs Abstellgleis.

Kanzlerwagen: Heute reisen Politiker wieder auf Schienen

Anders sieht es international aus: Unvergessen sind die Fotos des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong Un, der Anfang 2019 zu seinem Gipfeltreffen mit US-Präsident Donald Trump mit seinem eigenen Sonderzug nach Hanoi fuhr.

Zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse im Oktober reiste das norwegische Kronprinzenpaar, Thronfolger Haakon und Frau Mette-Marit, mit einem Literaturzug – einem speziellen ICE – an.

Das belgische Königspaar Philippe und Mathilde fuhr fast zeitgleich zum Staatsbesuch ins benachbarte Luxemburg – „aus Rücksicht auf die Umwelt und um eine nachhaltige Mobilität zu fördern“. Greta Thunberg lässt grüßen.

Der Kanzlerwagen war edel ausgestattet

Wer sich über die glorreichen Zeiten deutscher Zugdiplomatie informieren will, muss in Archiven wie dem des Hauses der Geschichte stöbern. Dort erfährt man etwa, dass der Salon in Waggon 10205 in mattem Grün gehalten war, der Teppich hatte einen beigefarbenen Grundton, Sessel waren mit rötlich-beiger Karo-Steppseide bezogen oder hatten grün-beige Gobelin-Bezüge.

Die Seidenvorhänge waren milchkaffeefarben. Für Türen und Fenster wurden u.a. schwedische Birke, Tabasko-Mahagoni, Nuss- und Kirschbaum genutzt.

Teile des Kanzlerwagens jetzt live sehen

Oder Interessierte gehen ins Museum. Das Deutsche Dampflokomotiv Museum in Neuenmarkt (Oberfranken) zeigt den Salonspeisewagen 10242. Er ist in ähnlich dunklem Grün gehalten wie 10205. Das Fahrzeug ist eng mit der politischen Geschichte Deutschlands der vergangenen 80 Jahre verbunden.

Den 1937 gebauten 10242 habe Hitler als persönlichen Speisewagen genutzt. Nach Kriegsende fuhr er für den Hochkommissar der Britischen Besatzungszone, Bernard Montgomery. 1946 erhielt er ein neues Interieur mit Schlafabteil und Badezimmer samt Wanne.

Kanzler-Zug: Die Wagen standen in Köln

1953 wurde der Wagen an die Bundesbahn übergeben. 10242 und 10205 waren in Köln stationiert und nur für den Kanzler reserviert. Auch die Königin Elizabeth II. fuhr auf ihrem ersten Deutschlandbesuch mit diesem Wagen durch die Republik.

Die Geschichte von 10242 wurde sogar verfilmt. 1988 wurde er ausrangiert. Waggon 10205 konnte seit 1974 als Gesellschaftswagen gemietet werden, bis er am 5. Oktober 1990 ins Museum in Bonn kam – als erstes Exponat. (dpa)