Coronavirus in Spanien„Es ist wie in einem Horrorfilm“

Gesundheitspersonal mit Schutzkleidung auf dem Gelände der Madrider Messe, wo Patienten mit leichten Symptomen behandelt werden.

Gesundheitspersonal mit Schutzkleidung auf dem Gelände der Madrider Messe, wo Patienten mit leichten Symptomen behandelt werden.

Madrid – Spanien befindet sich aufgrund des Coronavirus‘ im Ausnahmezustand. Die Zahlen der Infizierten und der Toten steigen exponentiell. In den Krankenhäusern Madrids werden Personal, Betten, Beatmungsgeräte und Masken knapp. „Es ist wie in einem Horrorfilm“, sagt Krankenschwester Laura Villaescusa. Ein Bericht aus Madrid.

Seit einer Woche hört man in Valdemoro die Vögel zwitschern, ab und an bellt ein Hund. Diese ungewohnte Ruhe wird nur von den regelmäßig aufheulenden Sirenen der Polizei- und Krankenwägen unterbrochen. Die Geräuschkulisse des madrilenischen Vororts wird normalerweise vom Verkehr, von Gesprächen zwischen Menschen, oder von den Ladenklingeln dominiert. Geändert hat sich das innerhalb der vergangenen Woche: Seitdem der spanische Präsident Pedro Sanchez den nationalen Notstand ausgerufen hat, steht das Leben in der spanischen Hauptstadt still – und in den Krankenhäusern auf dem Kopf.

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Valdemoro ist jener Teil Madrids in dem vor zwei Wochen eine Häufung von COVID-19-Fällen in einer Seniorenresidenz auftrat. Die Residenz ist mittlerweile geschlossen, die Mehrheit seiner Bewohner erkrankt, in Isolation, oder – in einigen Fällen – bereits verstorben. Das nahegelegene Krankenhaus von Valdemoro meldet eine kritische Überlastung seiner Kapazitäten – es droht der Kollaps. Es ist nicht das einzige Krankenhaus in dem es so aussieht.

Auf der Website der spanischen Tageszeitung El Mundo ist ein Handy-Video aus der Notaufnahme des madrilenischen Krankenhauses Hospital de Leganés zu sehen. Es zeigt einen Krankenhausflur, in dem hustende Menschen dicht an dicht gedrängt auf eine Behandlung warten. Andere bereits aufgenommene Patienten liegen im selben Flur auf Betten, die Pflegekräfte wirken überfordert und gehetzt.

Coronavirus in Madrid: Eine Krankenschwester berichtet über dramatisches Szenario

Wie es in den Krankenhäusern von Madrid wirklich aussieht, berichtet Laura Villaescusa. Seit fünf Jahren arbeitet sie in der Intensivpflege. Jetzt hat sie sich freiwillig für die COVID-19-Einheit des Hospital de La Paz – Krankenhaus des Friedens – gemeldet. Im Gespräch skizziert sie ein Szenario des Krieges: „Es gleicht einem totalen Massaker. Es ist wie in einem Horrorfilm. Wir sind komplett ausgelastet, haben keine freien Betten übrig.“

„Wer die besseren Überlebenschancen hat, kommt an das Beatmungsgerät“

Patienten, die trotz starker Symptomatik, in der Notaufnahme auf ein freies Bett im Krankenhaus warten, gibt es reichlich. Problem: Es gibt keine. „Wir müssen priorisieren: Nur wer die besseren Überlebenschancen hat, kommt an das Beatmungsgerät“, sagt Laura Villaescusa.

Doch in Madrid mangelt es nicht nur an Krankenhausbetten, es mangelt vor allem an Personal und an medizinischen Materialien wie Masken und Schutzmänteln. Die Situation ist dramatisch. Weil das Material rar ist, nutzt das medizinische Personal die Masken und Schutzmäntel über die komplette Zehn-Stunden-Schicht.

Situation wegen Corona: „Mir macht das riesige Angst“

„Immer mehr meiner Kolleginnen werden selbst krank. Mir macht das riesige Angst. Ich will mir nicht ausmalen, was passiert, wenn in den nächsten Wochen all unser Personal ausfällt“, beschreibt Laura Villaescusa die Lage. Diese Sorgen scheinen, nicht unbegründet zu sein. Immerhin ist in Nordspanien die erste Krankenschwester ihrer COVID-19-Erkrankung  erlegen. Sie wurde 59 Jahre alt. Bereits jetzt sollen knapp 5.400 Pflegekräfte erkrankt sein, wie die Regierung mitteilte.

Angesichts dieser Entwicklung hat die spanische Regierung jeden Haushalt mit Nähmaschine dazu aufgefordert, Atemschutzmasken zu nähen. Außerdem sollen über 50.000 Rentner und Medizinstudenten rekrutiert werden, um die personellen Engpässe in den Krankenhäusern zu überbrücken. Darüber hinaus wurde das 4-Sterne Hotel Marriot Auditorium in ein Krankenhaus umfunktioniert, während das spanische Militär auf dem madrilenischen Messegelände ein Feldlazarett aufbaut. Langfristig soll es mit 5.500 Betten ausgestattet sein.

Betreuungs-Dilemma: Betten da, aber kein Personal

Ob all das ausreichen wird, um der Lage Herr zu werden und den Patientenwellen standhalten zu können, muss sich erst noch zeigen. Laura Villaescusa zeigt sich jedoch äußerst skeptisch: „Diese neuen Betten sind gut, aber ohne speziell ausgebildetes Personal für die Intensivpflege, das diese Betten auch betreuen kann, bringt uns das nichts. Im Feldlazarett auf dem Messegelände sind die Ärzte verzweifelt, weil sie einfach nicht genügend Krankenschwestern für all die Betten haben. Es ist wirklich ein Drama.“

Dass die Lage ernst ist und zu kippen droht, erkennt auch Spaniens Präsident Pedro Sanchez. Als er vor einer Woche in einer langen Fernsehansprache das spanische Volk von dem unverzüglich inkrafttretenden Notstand unterrichtete, schlug er noch optimistische und kämpferische Töne an.

Coronavirus: Pedro Sanchez erst kämpferisch, jetzt ängstlich

Knapp eine Woche später, während einer neuen Ansprache, wirkte er gestresst und verängstigt. Längst geht es für ihn nicht mehr nur darum – als Kopf seiner Minderheitenregierung – eine gute Figur im Kampf gegen das Coronavirus abzugeben.

Mittlerweile sind seine Ehefrau, seine Mutter und sein Schwiegervater positiv auf das neuartige Virus getestet worden. Er selbst wird ab sofort in Quarantäne über die Geschicke seines Landes und die Gesundheitskrise wachen müssen. „Das Schlimmste“, so der Präsident, „steht uns noch bevor“. In den kommenden Wochen werde die Zahl der Infizierten und Opfer weiterhin drastisch steigen, erklärte er seinem Volk.

COVID-19-Epidemie in Spanien: Hätte sie verhindert werden können?

Doch bleiben Sanchez und seine Administration nicht ohne Kritik. Experten meinen die Regierung habe einige schwerwiegende Fehlentscheidungen getroffen, die erst zur Eskalation der SARS-CoV-2-Epidemie in Spanien führten. Der Ausbruch der Epidemie hätte gar verhindert werden können, meint der katalanische Epidemiologe Oriol Mitja. Immerhin starb der erste Spanier schon am 13. Februar an COVID-19, und ab dem 24. Februar wurde ein erstes Cluster auf Teneriffa entdeckt.

Reaktionen seitens der spanischen Regierung blieben aber aus. Man wollte, so darf vermutet werden, in einem Land dessen Volkswirtschaft zu großen Teilen vom Tourismus abhängig ist, den Beginn der Frühjahressaison nicht verderben. Hinzu kommt, dass im Februar auch in Spanien Karneval gefeiert wird. Gerade auf Teneriffa finden in diesem Rahmen viele Feierlichkeiten statt.

Noch verheerender aber war die Regierungsentscheidung, die landesweiten Aufmärsche und Demonstrationen anlässlich des Weltfrauentags am 8. März stattfinden zu lassen. Alleine in Madrid trafen sich mehr als 100.000 DemonstrationsteilnehmerInnen.

In vorderster Reihe marschierten einige führende Politikerinnen aus der Regierung mit, unter ihnen Begoña Gómez, Ehefrau des Präsidenten Sanchez, sowie dessen Mutter. Mindestens fünf dieser Frauen, inklusive der Gattin und der Mutter von Sanchez, sind mittlerweile positiv auf das Coronavirus getestet worden. Unklar bleibt wie viele tausend weitere Frauen sich am 8. März in Madrid und ganz Spanien infizierten.

Coronavirus in Spanien: Mehr als 3400 Todesopfer

Seit Anfang März befindet sich die Zahl der (identifizierten) Infektionsfälle und der Todesfälle in einem exponentiellen Wachstum. Inzwischen sind rund 48.000 Spanier nachweislich mit SARS-CoV-2 infiziert und mehr als 3.400 Todesopfer sind zu beklagen.

Auch nach einer Woche der partiellen Ausgangssperre – Menschen können noch in den Supermarkt, mit dem Hund spazieren, sowie auch zur Arbeit gehen – sinken die Zahlen nicht. Mittlerweile sind auch die Leichenhäuser der spanischen Hauptstadt ausgelastet. Ab sofort müssen die Leichen der Covid-19-Opfer im madrilenischen Eispalast (Palacio de Hielo), einer Schlittschuhhalle, deponiert und tiefgefroren werden.

Corona in Madrid: Spanischer Epidemiologe fordert totale Ausgangssperre

Aufgrund dieser dramatischen Situation kündigte Präsident Sanchez an den nationalen Notstand um weitere zwei Wochen zu verlängern. Eine Gruppe führender Wissenschaftler rund um den Epidemiologen Oriol Mitja fürchtet jedoch, dass eine solche partielle Ausgangssperre nicht ausreicht, um das spanische Gesundheitssystem vor seinem Kollaps zu bewahren. In einem offenen Brief fordern die Wissenschaftler eine totale Ausgangssperre: Insbesondere der öffentliche Verkehr mit Zügen, Bahnen und Bussen soll bis auf weiteres lahm gelegt werden.

Reagiert hat Pedro Sanchez auf diese Forderungen nicht. Er sagte, die spanischen Maßnahmen seien jetzt schon außergewöhnlich drastisch und sollten nicht weiter verschärft werden. Immerhin halten sich die Madrilenen weitestgehend an die Ausgangssperre. Alfonso A. – Polizist in Valdemoro – macht das Mut.

Coronavirus in Spanien: Singende Solidarität vom Balkon

Die Solidarität unter den Bürgern beflügelt ihn und gibt ihm Kraft bei seiner Arbeit: „Die Mehrheit der Bürger hält sich an die neuen Auflagen. Sie spenden uns sogar Masken und Handschuhe. Bei all dem Horror ist es schön dieses solidarische Verhalten zu sehen.“

Jeden Abend um 20 Uhr wird diese Solidarität auch sicht- und hörbar. Dann stellen sich die Bürger Valdemoros an ihre Fenster und Balkone und applaudieren den Ärzten und Pflegern in den Krankenhäusern. Gemeinsam singen sie Lieder, machen einander Mut und vertreiben die Stille, die sich seit einer Woche über ihren Heimatort gelegt hat.