Corona in Alten- und PflegeheimenVirologe Drosten warnt eindringlich vor neuer Phase

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Tests hätten bestätigt, dass 23 Bewohnerinnen und Bewohner sowie 17 Mitarbeiter eines Altenheims in Wildeshausen (Niedersachsen) mit dem Erreger Sars-CoV-2 infiziert seien, teilte der Landkreis Oldenburg mit.

Berlin – Das Coronavirus verbreitet sich zunehmend auch in Altenheimen in Deutschland. Nach dem Tod von 17 infizierten Menschen in einem Alten- und Pflegeheim in Wolfsburg kämpfen weitere Heime mit Infektionen.

Auch in der Maternus-Seniorenwohnanlage in Köln-Rodenkirchen herrscht wegen der Corona-Krise derzeit der Ausnahmezustand. Zwei Bewohner, die an Covid-19 erkrankt waren, sind verstorben, bestätigte der Leiter des Gesundheitsamtes, Johannes Nießen.

Patientenschützer fordern engmaschige Tests bei der Heimaufnahme

Angesichts der Coronavirus-Fälle in den Heimen fordern Patientenschützer dort engmaschige Tests. Bei der Aufnahme eines Bewohners in einem Heim müsse dieser grundsätzlich getestet und isoliert werden, sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, der Deutschen Presse-Agentur am Montag. Auch bei grippalen Infekten von Pflegepersonal oder Bewohnern müsse getestet werden.

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Bundesweit lebten rund 800.000 Menschen in Alten- und Pflegeheimen, mehr als 70 Prozent davon seien demenzkrank.

Sei das Coronavirus erst in einer Pflegeeinrichtung, müsse die jeweilige Kommune diese sofort überwachen, forderte Brysch. Dann habe man nicht länger „100 Hausärzte, die sich um 100 Bewohner kümmern“, sondern das Gesundheitsamt übernehme. Ohne Schutzkleidung, Atemmaske, Desinfektionsmittel und Handschuhe „braucht man im Pflegeheim nicht anzufangen“.

50 Tote in Alten- und Pflegeheimen in Deutschland

Bislang seien bundesweit mindestens 50 Menschen in Alten- und Pflegeheimen gestorben. Die Gefahr neuer Fälle sei groß.

Eine Strafanzeige gegen Verantwortliche der Diakonie Wolfsburg wegen fahrlässiger Tötung halte er nicht für sinnvoll, sagte Brysch. „Wer diese Krise zu verantworten hat, der sitzt in Berlin.“

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Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hatte zuvor am Montag den Eingang einer Anzeige eines Wolfsburger Anwalts bestätigt.

Pflegeheime: Aufnahmestopp in Niedersachen

Das Land Niedersachsen ordnete inzwischen einen Aufnahmestopp für Pflegeheime an. Ausnahmen gebe es nur, wenn eine 14-tägige Quarantäne für neue Bewohner gewährleistet sei, sagte Gesundheitsministerin Carola Reimann.

Die SPD-Politikerin appellierte zudem an Angehörige, auf Besuche älterer Angehöriger zu verzichten. „Bitte besuchen Sie Ihre Lieben nicht. Damit schützen Sie nicht nur Ihre eigene Mutter oder Ihren eigenen Vater, sondern alle.“ Es gebe viele Hinweise, dass die Besuchsverbote für solche Heime nicht beachtet worden seien.

Bei den meisten der 17 im Wolfsburger Heim gestorbenen Menschen sind vor dem Tod keine Covid-19-Symptome aufgetreten. „Am Sonntag hatten wir insgesamt 79 positive getestete Personen in dem Heim“, sagte Wolfsburgs Oberbürgermeister Klaus Dieter Mohrs (SPD). In dem Haus, in dem überwiegend Demenzkranke leben, sollten Infizierte strikt von negativ getesteten Bewohnern getrennt werden.

Gesunde und infizierte Heimbewohner werden strikt getrennt

Die infizierten Bewohner bleiben den Angaben zufolge für zwei Wochen in ihren Zimmern und werden von ebenfalls positiv getesteten Mitarbeitern versorgt – strikt getrennt von negativ getesteten Bewohnern, die in Einzelzimmern untergebracht seien und von negativ getesteten Mitarbeitern versorgt würden.

Coronavirus: Virologe Christian Drosten warnt vor neuer Phase

Derweil warnt der Virologe Christian Drosten vor einer neuen Phase in der Epidemie, die auch mit mehr gemeldeten Todesfällen einhergeht. „Wir sehen jetzt in diesen Tagen die Eintragungen zum Beispiel in Seniorenpflegeheime und haben hier dann den Beginn einer neuen Entwicklung“, sagte Drosten am Montag im NDR-Podcast.

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Der Virologe Christian Drosten

Bisher habe Deutschland auch ein bisschen Glück gehabt: Infiziert hätten sich zunächst vor allem jüngere, sportliche Leute wie Skifahrer, die das Virus aus dem Urlaub eingeschleppt und es in ihren ungefähr gleichaltrigen Netzwerken verbreitet hätten. Diese Menschen erlebten zum größten Teil milde Krankheitsverläufe.

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Wegen mehrerer Effekte gleichzeitig werde man jetzt zwangsläufig ein Ansteigen der berichteten Fallsterblichkeit sehen, sagte Drosten. Man sehe das jetzt schon an der Statistik: Sie liege nicht mehr bei 0,2 bis 0,4, sondern im Bereich 0,8 Prozent. Das liege daran, dass andere Altersgruppen als bisher von Sars-CoV-2 betroffen seien.

Corona: Testkapazität erhöhen? Das ist kaum möglich

Hinzu komme, dass man bei der Diagnostik nicht mehr einer exponentiellen Entwicklung hinterherkommen könne: „Ich glaube nicht, dass wir unsere jetzige Testkapazität realistischerweise noch deutlich steigern können“, sagte Drosten mit Blick auf PCR-Tests. Davon könnten derzeit mehr als eine halbe Million pro Woche in Deutschland gemacht werden. Er sei aber unsicher, wie lange die Industrie dem großen Bedarf an Laborreagenzien noch nachkommen könne, so der Charité-Virologe. (dpa)