„Sehr deprimiert”Warum das Corona-Abi für Schüler in NRW ein einziger Albtraum ist

Foto_OskarGebel

Torben Krauß ist Stufensprecher der zwölften Klasse des Albertus-Magnus-Gymnasiums Bensberg.

Köln – Eigentlich sollte es der Höhepunkt der Schulzeit werden: Die letzten Wochen vor den Abiturprüfungen sind für Schüler traditionell Anlass, um sich zu verabschieden und das Ende der Schulzeit gebührend zu feiern.

Dieses Jahr macht das Coronavirus den Zwölftklässlern einen Strich durch die Rechnung. Unfreiwillig erlebten tausende Abiturienten deutschlandweit ihre letzten Stunden in der Schule, die seitdem geschlossen ist. Die Schüler müssen auf die letzten drei Schulwochen, darunter auch die Mottowoche, bei der der Abijahrgang jeden Tag verkleidet in die Schule kommt, verzichten.

An ihren unfreiwillig letzten Tag in der Schule vor drei Wochen erinnert sich die 17-jährige Hayat Ouardi, Sprecherin der zwölften Klasse des Leonardo-da-Vinci-Gymnasiums in Nippes, noch lebhaft. „Uns wurde gesagt: ,Mal gucken, was die Regierung sagt, aber das hier könnte euer letzter Schultag sein'“, so die Schülerin.

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Auch für Torben Krauß, Pressesprecher der Bundesschülerkonferenz und Stufensprecher der zwölften Klasse des Albertus-Magnus-Gymnasiums Bensberg, kam diese Entscheidung unerwartet. Die meisten seiner Mitschüler haben an diesem Freitag die Schule in dem Glauben verlassen, noch drei Wochen Unterricht zu haben, so der 18-Jährige. Die Entscheidung sei sehr plötzlich gekommen und als um circa 14 Uhr die Schüler darüber informiert worden seien, dass die Schulen schließen, seien einige schon zuhause gewesen.

Coronavirus bringt Abi-Pläne durcheinander – für viele Schüler ein Schock

Leicht nachvollziehbar, dass dieser Moment für viele Schüler, die erwarteten, noch ein paar letzte Wochen mit ihren Freunden und Klassenkameraden verbringen zu können, ein Schock war.

Das bestätigt auch Ouardi. „Wir hatten keine Möglichkeit, uns von unserer Stufe zu verabschieden“, bedauert die 17-Jährige. Sie habe auch mit Schülern anderer Schulen gesprochen. Die Resonanz: „Viele sind deswegen sehr deprimiert.“

Schulleiter über vorzeitiges Ende durch Corona: „Das war skurril”

Auch für ihren Schulleiter Klaus Kombrink kam das Ende der Schulzeit seiner ältesten Schüler abrupt. „Das war skurril“, so der Pädagoge über den überraschend letzten Schultag am Freitag vor drei Wochen. Er hält es für unwahrscheinlich, dass eine Abschiedsfeier oder gar Mottowoche nachgeholt wird. Für ihn steht die Gesundheit seiner Schüler und Mitarbeiter im Vordergrund. Solange kein Unterricht stattfinde, werde es auch keine Abschiedsveranstaltungen für die Zwölftklässler geben, betont er.

Auch an der Schule von Torben Krauß in Bensberg fällt die Mottowoche aus. Der Stufensprecher betont allerdings, dass seine Mitschüler dafür Verständnis haben. „Dass die Mottowoche ausfällt, können viele verkraften, aber wenn der Abiball ausfiele, wäre das eine große Enttäuschung“, stellt er klar. Das hieße nämlich, dass sich die Stufe am Freitag wohl wirklich das letzte Mal in dieser Konstellation gesehen hätte. Ob der Ball im Juni stattfindet, ist, wie so vieles, bisher wohl kaum abzusehen.

Corona-Abi 2020: „Wir wissen nicht, wann und wie”

Nicht nur der plötzliche Abschied macht Abiturienten zu schaffen: Auch ganz praktische Probleme sind mit dem Zuhausebleiben verbunden. „Wir wissen nicht, wann und wie wir unsere Zeugnisse bekommen“, so Ouardi.

Eigentlich sollten diese am 2. April verteilt werden, der Termin ist aufgrund der Schulschließungen bis zum 19. April hinfällig. Am Albertus-Magnus-Gymnasium hingegen sollen die Zeugnisse sowie Klausuren, die noch nicht zurückgegeben wurden, per Post verschickt werden, so Krauß.

Eine weitere Schwierigkeit: Das zweite Halbjahr der zwölften Klasse ist von vornherein kürzer, es läuft nämlich nur bis zu den Osterferien. Durch das Corona-bedingte frühzeitige Ende hatten Lehrer nun nur wenige Wochen, um die mündliche Mitarbeit der Schüler zu beurteilen. Hat ein Schüler ein paar Wochen gefehlt, schwindet damit die Bewertungsgrundlage der Lehrer. Wer nicht da ist, kann im Unterricht schließlich auch nicht mitarbeiten und dafür benotet werden.

Homeschooling ist nicht für jeden Abiturienten leicht

Eine weitere Herausforderung: Ouardi falle es schwerer, zuhause zu lernen – die Ablenkung durch Handy und andere Medien sei allgegenwärtig, so die Schülerin. „Sobald man zuhause ist, kriegt man sich nicht hochgerappelt“, gibt sie zu.

Krauß stimmt ihr zu. Dass durch die Ausnahmesituation momentan ständig neue Nachrichten reinkommen, sorge bei ihm für zusätzliche Ablenkung. Zuhause könne er sich deshalb nicht so gut konzentrieren. Ouardi sagt zudem, sie stehe unter großem Druck und Stress. Der Grund: Neben dem Lernen fürs Abi müssen sie und ihre Mitschüler noch von zuhause aus Präsentationen vorbereiten, Handouts erstellen und Aufgaben erledigen.

So oder so sind die Schüler jetzt auf sich gestellt, wenn es darum geht, sich aufs Abi vorzubereiten.

Deutzer Schülerin schreibt offenen Brief an Bildungsministerin

Dass die Abiturprüfungen laut einem Beschluss der Kultusministerkonferenz trotz Corona-Ausnahmesituation stattfinden sollen, kritisiert eine Schülerin des Deutzer Gymnasiums Schaurtestraße, die sich mit einem offenen Brief an Bildungsministerin Yvonne Gebauer wandte.

„Die Durchführung von Abiturprüfungen bedeutet zwangsweise eine Missachtung des Kontaktverbots. Die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln auf dem Weg zur Schule ist für viele unumgänglich. Die Begegnung mit Lehrkräften und Mitschülerinnen und Mitschülern im Schulgebäude ist bei aller Vorsicht nicht auszuschließen“, gibt die 17-Jährige, die anonym bleiben möchte, in ihrem Brief zu bedenken.

Wie finden die Abiturprüfungen im Corona-Jahr 2020 genau statt?

Konkrete Anweisungen vom Bildungsministerium oder von der Bezirksregierung zur Umsetzung der Kontaktbeschränkungen bei den schriftlichen oder mündlichen Abiturprüfungen gibt noch nicht.

Rolf Faymonville, Schulleiter des Albertus-Magnus-Gymnasiums Bensberg, kann sich aber beispielsweise vorstellen, dass die Abiturienten in kleinen Gruppen auf alle Räume der Schule verteilt und alle Lehrkräfte zur Aufsicht eingesetzt werden, wenn zum Zeitpunkt der Abiturprüfungen noch kein regulärer Unterricht stattfindet. So könne es eventuell gelingen, die Abiturprüfungen zu den bisher vorgesehenen Terminen durchzuführen, so Faymonville.

Der Beschluss der Kultusministerkonferenz, der vorsieht, dass die Abi-Prüfungen stattfinden sollen, geht Torben Krauß nicht weit genug. Darin heißt es: „Die Prüfungen, insbesondere die schriftlichen Abiturprüfungen, finden zum geplanten bzw. zu einem Nachholtermin bis Ende des Schuljahres statt, soweit dies aus Infektionsschutzgründen zulässig ist“.

Prüfungen in NRW um drei Wochen verschoben – für viele ist Beschluss nicht konkret genug

In NRW werden die Prüfungen Stand heute um drei Wochen verschoben, die ersten Klausuren sollen am 12. Mai geschrieben werden. Doch die Lage ist dynamisch – Torben Krauß ist der Beschluss deshalb nicht konkret genug.

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Ihm wäre es lieber gewesen, die Prüfungen würden abgesagt, damit die Schüler endlich Gewissheit hätten. Er unterstütze die Petition zweier Hamburger Schüler, nach der alle Prüfungen abgesagt und eine Durchschnitts-Abiturnote aus den Noten der elften und zwölften Klasse errechnet werden soll. „Diese besondere Lage erfordert Flexibilität und eine besondere Entscheidung“, begründet Krauß.

Zu all der Ungewissheit und dem Prüfungsstress kommen auch Überlegungen, die Abiturienten zurzeit nach dem Abschluss haben.

Ouardi gibt zu bedenken, dass viele ihrer Mitschüler den Sommer bereits verplant haben. Die Schülersprecherin spricht von mehreren Gruppen in der Stufe, die sich zusammengetan und Reisen zum Beispiel nach Spanien und Portugal geplant haben. Diese Reisen würden nun aller Voraussicht nach ins Wasser fallen.

„Alle Pläne sind erst einmal auf Standby”

Außerdem bedauert Ouardi, dass sich die Zeit zwischen Abitur und Studien- beziehungsweise Ausbildungsbeginn, die viele zum Reisen oder für Praktika nutzen, nun wohl größtenteils zuhause verbracht werden muss. Sie selbst wolle zum 1. Oktober beginnen, Spanisch und Pädagogik auf Lehramt zu studieren, erzählt die 17-jährige Schülerin. Einen Urlaub für die Zeit bis zum Studienstart habe sie glücklicherweise noch nicht gebucht.

Auch Torben Krauß hatte die Zeit nach dem Abitur schon verplant. „Eigentlich geht es für mich im September nach Ecuador“, so der 18-Jährige. „Die Pläne nach dem Abi sind jetzt aber erstmal auf Standby“, fügt er hinzu. „Es sind einfach viele Sachen ungewiss“, fasst Ouardi zusammen. Mit dieser Ungewissheit, müssen wohl nicht nur Abiturienten die nächste Zeit lernen zu leben.