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„Al Capone aus der Pfalz“Berüchtigter deutscher Bandenchef: „Hab' den Ruhm genossen“

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Bernhard Kimmel (links), Bandenchef der berüchtigten Pfälzer „Al-Capone“-Bande wird am 28. Januar 1963 von einem Polizeibeamten zum Verhandlungssaal im Gericht in Frankenthal gebracht.

von Maternus Hilger (hil)

Lambrecht – Er war einer der berüchtigtsten Bandenführer, der über drei Jahrzehnte Polizei und Justiz in Atem hielt und der bundesweit eine zweifelhafte Berühmtheit erlangte: Bernhard Kimmel aus dem pfälzischen Lambrecht.

Man nannte den Tresorknacker und Polizistenmörder in Anspielung auf den legendären US-Gangsterboss den „Al Capone aus der Pfalz“ – ein Name, der ihm sehr schmeichelte und den er gerne selbst benutzte.

Bernhard Kimmel: Schon als Jugendlicher kriminell

Seine kriminelle Karriere startet der 1936 geborene, gelernte Tuchweber Ende der 50er mit fünf Jugendlichen. Kimmel wird schnell ihr Anführer. Mit Waffen und Munition von Wehrmachtsoldaten aus dem Zweiten Weltkrieg, die die Bande bei Streifzügen durch den Pfälzer Wald finden, machen sie die Gegend unsicher.

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Kleinkriminelle Halbstarke, die man damals Rowdys nannte. Aus ihnen werden bald gefürchtete Verbrecher. Wilderei, Brandstiftungen, Einbrüche, Überfälle auf Banken, eine Filiale der AOK, ein Waffendepot der französischen Armee und ein Kaufhaus gehen u. a. auf das Konto der „Kimmel-Bande“. Fast 200 Delikte werden ihnen später zur Last gelegt.

Kimmel-Bande erbeutet ein kleines Vermögen

Ihre Beute beläuft sich auf rund 150.000 Mark – damals ein Vermögen. Das Geld vergraben sie in Milchkannen. Die Jungs lassen es sich gut gehen – mit teuren Autos und natürlich mit Frauengeschichten.

Lange tappt die Polizei im Dunkeln. In der Silvesternacht 1960/61 gipfeln die Straftaten schließlich in einem Mord. Vor der Hellerhütte im Pfälzer Wald schießt Bandenmitglied Lutz Cetto auf Hüttenwart Karl Wertz (49), der die vor dem Haus randalierenden, um sich schießenden angetrunkenen Jugendlichen zur Rede stellen will. Er stirbt auf dem Transport ins Krankenhaus.

Bernhard Kimmel gelingt spektakuläre Flucht

Eine Großfahndung der Polizei bringt die Bande zur Strecke. Kimmel, der sich eine Woche mit seiner damaligen Freundin (19, Spitzname „Revolver-Tilly“) im Wald versteckt hatte, stellt sich selbst. Den beiden war es schlicht zu kalt geworden.

Doch nur wenig später gelingt Kimmel eine spektakuläre Flucht. Bei einem Lokaltermin mit „Tilly“ bittet er die Polizisten, ihm die Handschellen abzunehmen, um seiner frierenden Freundin seinen Mantel umhängen können. Kaum ist er die Fesseln los, hechtet er einen Abhang hinunter, besorgt sich aus einem Erd-Versteck eine Maschinenpistole und eröffnet das Feuer auf seine Verfolger.

Im Durcheinander können er und seine Freundin entkommen. Bald klicken wieder die Handschellen. Das Paar stellt sich erneut – wieder zermürbt von den frostigen Temperaturen.

Kimmels Komplize bringt sich um

In zwei Prozessen werden die Bandenmitglieder zu teils langjährigen Haftstrafen verurteilt. Kimmel selbst erhält 14 Jahre, von denen er etwas mehr als neun Jahre verbüßen muss. Im Mai 1970 ist er wieder ein freier Mann – entlassen wegen guter Führung. Cetto, der Todesschütze von der Hütte, der lebenslang bekam, begeht nach einigen Monaten Haft Selbstmord.

Kaum in Freiheit, ist das Interesse an Kimmel groß. Schnell avanciert er zum Medienstar. Geschichten über den „Al Capone aus der Pfalz“ verkaufen sich bundesweit und er selbst versteht es, sich lukrativ zu vermarkten.

Bernhard Kimmel wird zum Medienstar

Filmschaffende schätzen die Story. So nutzte 1969 Regisseur Franz Peter Wirth für seinen TV-Film „Al Capone im deutschen Wald“ die Verbrechen der Kimmel-Bande als Vorlage. In der Rolle eines Bandenmitglieds glänzt der spätere Kultregisseur Rainer Werner Fassbinder.

Zu Kimmels illustren Bekannten zählt auch Schriftsteller Martin Walser (92), den er in den 70er Jahren kennengelernte hatte und der sich seine Rehabilitierung einsetzte.

Bei Banküberfall wird Kimmel zum Polizistenmörder

Doch trotz aller Berühmtheit – von seiner kriminellen Energie kommt Kimmel nicht los. Als er mal wieder knapp bei Kasse ist, versucht er 1981 mit zwei Komplizen in eine Sparkasse im hessischen Bensheim einzubrechen. Es kommt zur Katastrophe.

Von alarmierten Polizisten gestellt, zündet er eine Splitterhandgranate, die den Beamten Achim Benick (26) so schwer verletzt, dass er querschnittgelähmt bleibt. Sein Kollege Hubert Rupprecht (31) überlebt den Einsatz nicht.

Kimmel schießt ihm aus kürzester Distanz in den Kopf – an seiner schweren Verletzung stirbt er wenige Tage später. Er hinterlässt eine Frau und zwei Kinder.

Kimmel sitzt für 22 Jahre im Knast

Der Schütze, selbst von Kugeln getroffen, kann noch fliehen, wird aber wenige Stunden später in seiner Wohnung festgenommen. Dieses Mal wird Kimmel zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, von der 22 Jahre absitzt – eine Zeit, in der er sich als Künstler versucht und Plastiken und Skulpturen aus Ton modelliert, die es sogar bis in Ausstellungen schaffen.

Kaum ist er raus, ist er erneut ein gefragter Mann. In Dokus und Interviews versuchte er, sich als „edler Räuber“ zu verkaufen, der nicht verstehen könne, warum er wegen Polizistenmordes belangt wurde. Er habe ja „über den Kopf hinweg gezielt“.

Bernhard Kimmels Leben als Filmvorlage

2006 veröffentlicht Regisseur Peter Fleischmann (82), der Kimmel oft im Gefängnis besucht hat und mit ihm freundschaftlich verbunden war, den Film „Mein Freund, der Mörder“ – ein Langzeitporträt.

Von Fleischmann stammen auch eine weitere Doku über den Pfälzer „Al Capone“ und der Kino-Film „Das Unheil“, in dem der Ex-Gangster als Schauspieler mitwirkt. Auch zahlreiche Bücher widmen sich Kimmel.

Bernhard Kimmel viel zu positiv dargestellt?

In vielen Dokus – besonders denen von Fleischmann – komme Kimmel viel zu positiv weg, finden Kritiker. Auch der frühere Polizist Achim Benick, den Kimmel zum Querschnittsgelähmten machte, verabscheut den damaligen Rummel um den ehemaligen Verbrecher.

Es sei wie bei der RAF: „Über die hat jeder gesprochen. Über hat man Kinofilme gedreht. Die Opfer hat man aber schnell vergessen“, sagte er dem „Wiesbadener Kurier“.

Bernhard Kimmel: „Hab' den Ruhm genossen“

Und Kimmel? Um ihn wurde es ruhiger, heute lebt er in einer Seniorenanlage in einem kleinen Apartment – ein alt gewordener ehemaliger Schwerverbrecher, der sich als Opfer widriger Umstände sieht und in einem Interview mit dem „Wiesbadener Kurier“ 2018 noch immer von den alten Al-Capone-Zeiten schwärmt „Ich hab’ den Ruhm genossen.“

Dass seine Opfer und ihre Angehörigen das anders sehen, scheint ihn wenig zu interessieren.