Erster WeltkriegDarum zogen die Soldaten so begeistert an die Front

Begeisterte Soldaten verabschieden auf dem Weg zur Front.

Begeisterte Soldaten verabschieden auf dem Weg zur Front.

Köln – „Jeder Tritt ein Britt, jeder Stoß ein Franzos', jeder Schuss ein Russ“: Mit solch martialischen Parolen zogen deutsche Soldaten vor 100 Jahren in die Schlachten des Ersten Weltkriegs.

Fotos zeigen, wie Soldaten begeistert in den Krieg aufbrachen – umjubelt von ihren Familien, ihren Frauen, Freunden und Kindern.

Doch war es wirklich so? Herrschte in Deutschland wirklich Kriegs-Euphorie?

Fakt ist: Viele Menschen aus dem deutschen Bürgertum begeisterten sich für den Krieg. Auch der bekannte Schriftsteller Thomas Mann zählte zu den Befürwortern des Krieges.

Militärhistoriker Manfried Rauchensteiner erklärt die Kriegsbegeisterung so:

„Für die Menschen war es zwar nicht selbstverständlich, dass es Krieg gab, aber es schien ihnen auch nichts besonders Erschreckendes zu sein; Krieg gehörte zur menschlichen Existenz und war etwas ungemein Aufregendes. Der Krieg schien der ideale Ausweg zu sein, um dem Alltag zu entfliehen. Alles Mögliche floss da ein: Gegensätzliches wie Müdigkeit an der Moderne und Sehnsucht nach etwas Neuem, irrationale Heilserwartung, Lösung der verschiedensten Dilemmata, Überwindung einer Stagnation, außenpolitischer Befreiungsschlag, Verwirklichung nationalistischer, Festigung staatlicher Struktur, Zentralismus und Föderalismus. [...]

In Berlin und St. Petersburg, in Paris und London konnte man ähnlich wie in Wien das Gefühl haben, der Krieg würde als Erlösung gesehen. Und der intellektuelle Anstoß, der quer durch Europa zu beobachten war, ließ jene ungeheure Kriegsbegeisterung hochkommen, die ein Phänomen dieses Jahrhunderts werden sollte.

Die Zerstörbarkeit aller Ordnung wurde als Möglichkeit gesehen und der Krieg als Experiment. Im Zeitalter der Beschleunigung wurde auch Krieg als etwas verstanden, das beschleunigte. [...]

Studenten, Professoren, Schriftsteller, Künstler, Priester, Atheisten, Anarchisten, politische Aktivisten, Radikale: Alle wollten dabei sein, wenn die Pax Europaea zu Ende ging. [...]

Sie alle sahen im Krieg nicht das Entsetzliche, sondern die Veränderung, und nur ganz wenige konnten sich der Suggestion entziehen und anderes als den Aufbruch, nämlich auch das Ende eines europäischen Jahrhunderts, sehen.“

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Landbevölkerung hatte Angst

Kriegsbegeisterung herrschte vor allem in den deutschen Großstädten – die ländliche Bevölkerung und Bauern teilten die Kriegsfreude nicht.

Viele hatten Angst, ihr Leben und ihr weniges Hab und Gut zu verlieren.

Erst Skepsis, dann Kriegstaumel

Auch die Arbeiterschaft wollte Anfangs nicht in den Krieg ziehen. Erst als die ersten Erfolgsmeldungen der deutschen Truppen erfolgten, begeisterten sich auch die Sozialdemokraten immer mehr.

Viele glaubten an einen schnellen Erfolg und an ein rasches Ende des Krieges. Jetzt konnte sich fast niemand mehr dem allgemeinen Kriegstaumel entziehen.

Ein deutscher Soldat schrieb bei der Abfahrt an die Front in einem Brief:

„Liebe Eltern, am 2. August morgens 3 Uhr dann endgültig Abmarsch, nachdem unser Major eine kurze markige Ansprache gehalten hatte. Voran die Musik, »Heil Dir im Siegerkranz«, gings dem Bahnhof zu. Um 5 Uhr waren wir verladen in ca. 20 Wagen mit unseren Gerätewagen, und um 6 Uhr verließen wir Koblenz unter Absingen froher Lieder Richtung Trier. An den Wagen hatten wir allerhand Ulk angemalt, so »Auf nach Paris zum Bundesschießen«, »Morgen gibts Goulasch mit Rothosen«, »Franzosen, Belgier, Serben, Ihr alle müsst jetzt sterben« usw. Auf der ganzen Fahrt haben wir gesungen, was nur die Kehle hergab. Überall, wo wir auf der Fahrt durchkamen, wurden wir aufgemuntert, feste zuzuhauen, aber auch so manches Mütterlein stand an der Bahn mit Tränen in den Augen.“

Kirchen schürten die Begeisterung für den Krieg

Als am 1. August in Berlin die Mobilmachung des Heeres ausgerufen wurde, sang die versammelte Menge lautstark das Kirchenlied „Nun danket alle Gott!“ Evangelische Pfarrer, Oberkirchenräte und Theologieprofessoren stimmten euphorisch in die Kriegsrhetorik ein.

Als treue Staatsbürger stellten sich auch die Katholiken hinter den Kurs des Deutschen Reiches und verteidigten den Krieg als gerechte Sache.

Zur Eröffnung der Reichstagssitzung im August 1914 rief im Berliner Dom der evangelische Oberhofprediger und enge Kaiservertraute Ernst von Dryander zu den Waffen „für die deutsche Gesittung - gegen die Barbarei!“

Bernhard Kirn, der 1914 unter dem Titel „In unsers Herrgotts Schützengraben“ mehrere Dorf-Kriegspredigten veröffentlichte, formulierte: „Wer heute gesund ist und die Waffen tragen kann, der gehört in die Schützengräben.“

(mt)