„Apokalyptisch”Überall Covid-19, schlimmste Plage seit Jahrzehnten wird vergessen

Kenia_Plage_Bekaempfung

Ein Freiwilliger hilft in Kenia bei der Bekämpfung der Heuschreckenplage.

von Julia Bauer (jba)

Nairobi/Addis Abeba/Berlin – Während die ganze Welt über das sich ausbreitende Coronavirus spricht, gerät ein anderes Drama, das sich aktuell vor allem in Ostafrika abspielt, in den Hintergrund.

Dabei breiten sich die Wüstenheuschrecken immer weiter aus. Wenn es nicht gelingt, die Plage in den Griff zu bekommen, sind laut den Vereinten Nationen bald 25 Millionen Menschen in der Region vom Hunger bedroht.

Laut Welthungerhilfe sind schon jetzt über 10 Millionen der Menschen in den betroffenen Ländern von einer schweren Hungerkrise betroffen.

Alles zum Thema Corona

Der deutsche Bundesentwicklungsminister Gerd Müller bezeichnet die Situation in Kenia und anderen ostafrikanischen Ländern als die „größte Plage seit Jahrzehnten”, manche würden sie auch als größte Plage „seit Menschengedenken” betrachten. 

Hier können Sie sich das Ausmaß der Heuschreckenplage in einer interaktiven Grafik der FAO anschauen

Heuschrecken zerstören in kürzester Zeit ganze Felder

Die Schwärme in Äthiopien, Kenia und Somalia seien „beispiellos in ihrer Größe und ihrem Zerstörungspotenzial”, teilte die UN-Landwirtschaftsorganisation (FAO) mit. Die Insekten fallen über Pflanzen her und können in kürzester Zeit ganze Felder zerstören.

Der FAO zufolge ist dies der schlimmste Ausbruch der Wüstenheuschrecken seit 25 Jahren in Äthiopien und Somalia und seit 70 Jahren in Kenia. In der ohnehin armen Region könne die Plage zu einer Hungersnot führen, warnte auch Jasper Mwesigwa, ein Analyst beim Klimazentrum der ostafrikanischen Regionalgemeinschaft IGAD.

Auch die afrikanischen Länder Eritrea, Uganda, Dschibuti, Tansania, der Sudan, Südsudan und der Kongo kämpfen aktuell gegen die Heuschreckenplage. Die betroffenen afrikanischen Länder befinden sich ohnehin schon in einer kritischen Ernährungssituation. Die Heuschrecken verschärfen die Lage jetzt zusätzlich.

Indischer-Ozean-Dipol schuld an Heuschreckenplage

Mitverantwortlich für die Notlage ist der Indische-Ozean-Dipol. Das Wetterphänomen hat in Australien zu den Buschbränden beigetragen und Ostafrika dagegen monatelangen Regen beschert. 

Der Indische-Ozean-Dipol tritt alle vier bis sechs Jahre auf und sorgt in Ostafrika für sintflutartigen Starkregen, der zu Überschwemmungen führt.

Hier lesen Sie mehr: Deutscher Wetterdienst registriert den zweitwärmsten Winter seit Beginn der Aufzeichnungen

Für Heuschrecken ist ein feuchter und warmer Boden die optimale Bedingung, um sich zu vermehren, erklärt die Welthungerhilfe.

Klimawandel für Heuschreckenplage verantwortlich?

Ungewöhnlich sei jedoch, dass der Indische-Ozean-Dipol in letzter Zeit dreimal hintereinander stattfand. Experten vermuten den Klimawandel als Ursache dahinter, durch den sich der Indische Ozean unterschiedlich stark erwärmt.

Ihren Ursprung hat die aktuelle Heuschreckenplage im Oman und im Jemen, wo schon im Oktober 2018 die Regenfälle des Zyklons Luban für eine üppige Vegetation und somit eine schnelle Vermehrung der Tiere gesorgt hatte, erklärt die Welthungerhilfe weiter.

Heuschreckenplage hat auch Arabische Halbinsel erreicht

Doch nicht nur in Afrika droht durch die Heuschreckenschwärme eine Hungerkrise. Millionen der Tiere vernichten mittlerweile auch die Ernte in Indien und Pakistan. Und: Riesige Heuschreckenschwärme sind inzwischen auch auf der Arabischen Halbinsel unterwegs.

Die Bekämpfung der Heuschreckenschwärme kommt derweil kaum voran. 

Mit der Geburt der fünften Generation von Heuschrecken hat die Plage eine neue Phase erreicht. Nach Berechnungen von Seuchenforschern können sich die Heuschrecken von Generation zu Generation um das Zwanzigfache vermehren.

Heißt: Bis Juni 2020 könnten sich die Heuschreckenschwärme in Ostafrika um das 400-fache vergrößert haben, wie etwa der „Tagesspiegel” berichtet. 

Kenia: „Wir haben den Ernst der Lage zu spät erkannt”

„Wir haben den Ernst der Lage zu spät erkannt“, gesteht Kenias Landwirtschaftsminister Peter Munya. Zudem würden jetzt auch noch die Insektenvernichtungsmittel ausgehen, berichtet der Politiker. 

Fatal: In Ostafrika wird zurzeit für die bevorstehende Regensaison gepflanzt. In dieser Zeit richten die Heuschrecken also den größten Schaden an.

Hier lesen Sie mehr: Forscher decken auf: Geruch verführt Schildkröten – qualvoller Tod

Es gibt Schätzungen der UN-Landwirtschaftsorganisation (FAO), dass bereits 500.000 Hektar Land betroffen seien, die kahl gefressen würden und nicht mehr bewirtschaftbar seien. 

Heuschreckenplage: Deutschland hilft mit 20 Millionen Euro

„Die Heuschreckenplage darf nicht zu einer neuen Hungersnot und Vertreibung führen”, sagt Bundesentwicklungsminister Müller. „Die Menschen brauchen Lebensmittel, Saatgut und Viehfutter, um ihr Überleben sichern zu können.”

Matthias Späth, Landesdirektor der Welthungerhilfe in Äthiopien, beschreibt die Lage vor Ort: „Die Prognosen sind apokalyptisch, denn die Heuschreckenschwärme werden weiter dramatisch wachsen. 100.000 Hektar Land sind schätzungsweise allein in Äthiopien, Kenia und Somaliland betroffen.”

Hier lesen Sie mehr: Erde steht kurz vor einem sechsten Massenaussterben

Die Viehhirten bräuchten zusätzliches Futter für die Tiere und die Bauern Saatgut. Viele Familien würden auch Nahrungsmittel benötigen, um bis zur nächsten Ernte überleben zu können. 

Deutschland hat der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) bereits 20 Millionen Euro für humanitäre Maßnahmen zur Verfügung gestellt.

Zudem unterstützt Deutschland auch das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP). „Ich war selbst gerade erst im Sudan. Wir unterstützen dort das Welternährungsprogramm in diesem Jahr mit weiteren sechs Millionen Euro und tragen so zur Ernährungssicherung bei”, sagt Entwicklungsminister Gerd Müller. 

Seiner Meinung nach werde die Heuschreckenplage „total unterschätzt”.

Welthungerhilfe: Heuschrecken gefährden jahrelange Entwicklungsarbeit 

Auch die deutsche Welthungerhilfe warnt vor gravierenden Folgen der Heuschreckenplage in Afrika. „Die Sorge ist, dass die Entwicklungsarbeit von Jahren in einem oder zwei Jahren Heuschreckenplage zunichte gemacht werden”, sagte Präsidentin Marlehn Thieme der Deutschen Presse-Agentur.

Hier lesen Sie mehr: Die Prognose eines Meteorologen zu extremen Wetterlagen

„Ob die Vorbereitungen ausreichen, den worst case tatsächlich zu bewältigen, das muss man bezweifeln.”

Worst Case: Heuschrecken nisten sich zwei bis drei Jahre ein

Zum schlimmsten möglichen Fall für das stark betroffene Kenia sagte Thieme: „Der Worst Case wäre, dass sich die Heuschreckenschwärme in den fruchtbaren Teilen Kenias einnisten und dort zumindest für zwei, drei Jahre ihr Unwesen weiter treiben.”

Erst dann wären nach Thiemes Einschätzung genug Pestizide und Herbizide versprüht worden, um der Plage Herr zu werden.

Hier lesen Sie mehr: Deutschen Wäldern geht es schlechter als angenommen

„Aber die Kosten werden immens sein. Und in der Zeit wird man große Teile Kenias, die von Mangel- oder Fehlernährung bis hin zu Hunger betroffen sind, mit internationaler Hilfe versorgen müssen.”

Im Moment gibt es dafür laut Thieme ausreichend Lebensmittelvorräte. „Wir alle wissen, dass es genug zu essen für alle Menschen auf dieser Welt gibt. Das gilt auch für Reserven für solche Notfälle. Aber wir wissen auch, dass diese Reserven von Jahr zu Jahr schwanken. Im Moment sieht es aber gut aus.”

Viel werde jedoch davon abhängen, wie die nächsten Ernten in anderen Ländern aussehen werden. (dpa/afp/jba)