Antarktis-EntdeckungForschende machen beunruhigenden Fund in uraltem Tier

Das undatierte Foto zeigt die Urzeit-Krakenart Megaleledone setebos aus dem Südpolarmeer – aus ihr sollen sich in den vergangenen 30 Millionen Jahren viele der heute bekannten Tintenfische entwickelt haben.

Das undatierte Foto zeigt die Urzeit-Krakenart „Megaleledone setebos“ aus dem Südpolarmeer – aus ihr sollen sich in den vergangenen 30 Millionen Jahren viele der heute bekannten Tintenfische entwickelt haben.

Forschende untersuchten in der Antarktis einen rund vier Millionen Jahre alten Oktopus – und machten in seinen Genen einen beunruhigenden Fund. Seine DNA gibt Aufschluss darüber, wie dramatisch sich die Schmelze des Eisschilds auf den Meeresspiegel auswirken könnte. 

von Martin Gätke (mg)

Die Antarktis – so lebensfeindlich sie auch auf den ersten Blick sein mag – ist die Kinderstube für zahlreiche Tierarten. Zum Beispiel haben Anfang 2023 Meeresforschende im Südpolarmeer eine Urzeit-Krakenart entdeckt, aus der sich in den vergangenen 30 Millionen Jahren viele der heute bekannten Tintenfische entwickelt haben sollen. 

Die riesigen Tiere (sie werden bis zu 27 Kilogramm schwer) sehen nicht nur spektakulär aus – ihre Gene sind eine wahre Schatzkammer. Denn sie erlauben den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gewissermaßen einen Blick in die Vergangenheit. Die DNA einer bestimmten Kraken-Art der Antarktis enthält Erinnerungen an das einstige Schmelzen früherer Eisschilde – das wiederum weckt nun die Befürchtung darüber, was passiert, wenn die Temperaturen aufgrund des Klimawandels weiter steigen. 

Antarktis: Forschende machen bedrohlichen Fund in uralten Tieren

Seit Jahrzehnten schon untersuchen britische Forschende die Oktopus-DNA der Tiere, die in der Antarktis leben. Zu Beginn des Jahres haben sie tief in den Genen einen wichtigen Hinweis auf das künftige Schicksal des antarktischen Eisschilds des Kontinents entdeckt, wie der britische „Guardian“ berichtete.

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Die Befürchtung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler: Wird beim Abtauen des Eises ein Kipppunkt überschritten, könnte sich die Schmelze verselbstständigen und über Jahrhunderte irreversibel weitergehen – mit dramatischen Folgen für den Planeten. 

Die globale Erwärmung setzt schon jetzt selbst dem vermeintlich „ewigen“ Eis der Antarktis messbar zu. Auch der antarktische Eisschild reagiert empfindlich auf Temperaturschwankungen – er ist die größte Eismasse der Erde und bedeckt Antarktika nahezu vollständig. Allein dort sind fast 90 Prozent des Eises und 70 Prozent des Süßwassers der Erde gebunden. Der Eisschild allein enthält genug Wasser, um den Meeresspiegel um 3 bis 4 Meter anzuheben.

Antarktis: Vor 125.000 Jahren war Meeresspiegel 6 Meter höher als heute

Klima-Forschende rätseln, ob dieses Eisschild während der letzten Zwischenkaltzeit vor rund 125.000 Jahren, als die globalen Temperaturen ähnlich hoch waren wie heute, bereits vollständig zusammengebrochen ist. Die meisten aktuellen Studien gehen davon aus, dass zu jener Zeit der Meeresspiegel etwa 6 bis 9 Meter über dem gegenwärtigen Niveau lag.

Ein Forscher-Team hat nun mit einem ausgeklügelten System die Gene einer Kraken-Art untersucht, die seit rund vier Millionen Jahren auf dem antarktischen Kontinent lebt. Von 96 Tieren wurden genetische Proben genommen – über drei Jahrzehnte hinweg. 

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Ein Blick in die Gene erlaubt den Forschenden nun auch einen Blick in die Zwischenkaltzeit vor rund 125.000 Jahren – und was damals passiert ist. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehen dank der DNA eindeutige Anzeichen dafür, dass sich damals einige Tintenfischpopulationen auf gegenüberliegenden Seiten des westantarktischen Eisschildes vermischt haben.

Heute ist der Weg aufgrund des Eises unüberwindbar –  ein Blick in die Gene verrät nun, dass es vermutlich einen offenen Seeweg zwischen dem südlichen Weddellmeer und dem Rossmeer gegeben haben muss. 

Antarktis: Blick in Oktopus-Gene erlaubt Blick in die Vergangenheit

„Das konnte nur geschehen, weil das Eisschild vollständig zusammengebrochen war“, so Dr. Sally Lau, Genetikerin an der James Cook University und Leiterin der Forschungsarbeiten. Sie sagte, dass die Veränderungen in der DNA der Tiere wie eine Uhr funktioniere. Sie ermöglichen es, jenen Zeitraum zu bestimmen, in dem sich die Tintenfische im südlichen Weddellmeer und im Rossmeer vermischt haben.

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Prof. Nick Golledge, Mitautor der Studie von der Victoria University of Wellington in Neuseeland, sagte, dass die größte Sorge darin bestehe, dass das Schmelzen des Eisschildes, sobald es einen Kipppunkt erreicht hat, sich „verselbstständigen“ werde und Jahrhunderte oder länger andauern würde.

Antarktis: Eisverlust in letzten zwei Jahrzehnten massiv zugenommen

Der Wissenschaftler erklärt, dass der Eisverlust in der Westantarktis in den letzten zwei Jahrzehnten massiv zugenommen habe. Nach Auffassung der Autoren der Oktopus-Forschung deuteten ihre Ergebnisse darauf hin, dass selbst bei einer globalen Erwärmung um 1,5 Grad – dem ehrgeizigsten Ziel des Pariser Klimaabkommens – der westantarktische Eisschild dem Untergang geweiht sein könnte. 

Die Tintenfisch-DNA helfe dabei, Beweise für die große Veränderung des Meeresspiegels durch den damaligen Zusammenbruch des westantarktischen Eisschilds zu sammeln. „Der Verlust dieses Eisschildes hätte sehr reale Folgen für den gesamten Planeten. Wenn die Ergebnisse der Oktopus-Forschung korrekt sind, dann gibt es Empfindlichkeiten im Erdsystem, die zu einem Anstieg des Meeresspiegels in planetarischem Ausmaß führen“, erklärt Prof. Nathan Bindoff, Ozeanograf und Antarktis-Experte an der Universität von Tasmanien.