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Zu lasche Urteile in Köln?Das sagt „Richter Klartext“ zu den Vorwürfen

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Jan F. Orth  im Landgericht neben einer Statue der Justitia, der Göttin der Gerechtigkeit.

Köln – Man nennt ihn auch Richter Klartext, denn Prof. Dr. Jan F. Orth (44) nimmt im Kölner Landgericht kein Blatt vor den Mund.

„Wie eine lächerliche Witzfigur“ habe sich etwa ein Schläger (17) verhalten, der seine Opfer beim Prozess noch regelrecht verspottete (hier mehr über den Fall lesen). Das Ergebnis: drei Jahre Jugendknast.

Zuletzt schickte Orth einen Räuber (27) nach einem Überfall auf einen Senior (76) unter dem Stichwort „niederträchtig“ für acht Jahre in den Bau. EXPRESS sprach mit ihm über die Kölner Justizszene.

Herr Orth, fühlen Sie sich sicher in Köln?

In jeder Hinsicht. Ich bin in Frechen groß geworden, seit ich 20 bin, lebe und arbeite ich in Köln, und ich war zu jeder Tages oder Nachtzeit an den verschiedensten Orten – mir ist nie was passiert. Natürlich sollte man achtsam sein. Ich glaube auch, dass die Kölner Justiz für die Sicherheit und das Sicherheitsgefühl der Kölner einen wichtigen Beitrag leistet.

Wie bewerten Sie Ihren Auftrag als Vorsitzender Richter am Landgericht?

Als Strafrichter, ganz klar, die Schwachen der Gesellschaft, die straffällig geworden sind, maßvoll zu bestrafen und wieder auf einen guten Lebensweg zu bringen. Aber auch diejenigen, die echtes Leid zufügen oder berufskriminell sind, durch angemessene Strafen von der Begehung weiterer Straftaten abzuschrecken.

Funktioniert das mit der Abschreckung?

Ja, das funktioniert. Es gab kürzlich eine Sicherheitskonferenz mit dem Polizeipräsidenten in Köln, auf der uns mitgeteilt wurde, dass bandenmäßige Wohnungseinbrüche in Köln und der Region rückläufig sind. Die Banden meiden inzwischen mehr und mehr die Region, weil sie wissen, dass in Köln erhebliche Strafen drohen. Das erfüllt mich mit Stolz.

Wenn da nicht das alte Vorurteil der „Kölner Kuscheljustiz“ wäre…

Ich kann das nicht nachvollziehen, weil ich weiß, wie viele harte Strafen die Kollegen und ich aussprechen. Ich bin überzeugt davon, dass wir viele gute und sachgerechte Entscheidungen treffen. Es gibt bei mir eine alte Regel, da halte ich es mit altem Lateinlehrer, der immer gesagt hat: Einmal ist keinmal, aber zweimal ist schon viermal. Ich bin durchaus dafür, dass jeder, der mal daneben liegt, eine Chance auf Bewährung bekommen sollte. Aber wer es dann nicht versteht, der muss in der Regel ins Gefängnis.

Welchen Spielraum haben Richter denn bei Ihren Entscheidungen?

Die meisten Urteile, von denen ich lese, kann ich mit dem professionellen Blick nachvollziehen. Der Spielraum ist auch nicht so groß, wie man in der Regel meint, selbst bei Strafrahmen von einem bis 15 Jahren bei einem Raub. Bei der Draufsicht weiß man in der Regel, in welchem Drittel des Strafrahmens das Strafmaß liegen könnte. Und man schaut ins Gesetz, was für – etwa Geständnis, Reue oder eine Notlage – und gegen – etwa besondere Brutalität – den Täter spricht.

Können Sie es nachvollziehen, dass es bei manchen Urteilen zu einem Aufschrei in der Bevölkerung kommt?

Wir nehmen das zur Kenntnis und reflektieren darüber auch. Manchmal würde ich mir aber etwas mehr Vertrauen dahingehend wünschen, dass wir schon ziemlich genau wissen, was wir da tun. Was gar nicht geht, ist, wenn wir in Zuschriften beleidigt werden oder uns Rechtsbeugung vorgeworfen wird.

Ein weit verbreitetes Missverständnis ist, weil wir die Urteile im Namen des Volkes sprechen, dass wir die Straferwartung der Bevölkerung als maßgebliches Kriterium der Entscheidungsfindung sehen sollten. Die Strafzumessung ist sehr komplex und erfolgt häufig nach vielen mehrstündigen Hauptverhandlungstagen. Da ist es schwierig, sich von außen eine Meinung zu bilden. Das motiviert mich als Pressesprecher auch jeden Tag, die Dinge besser zu erklären.

Angst vor der eigenen Courage sollte ein Richter zumindest nicht haben.

Man braucht den Mut auch zu unpopulären Entscheidungen. Dass man natürlich ein Problem bekommt, seine Entscheidung zu verkaufen, wenn man etwa einem zwölffachen Wohnungseinbrecher noch Bewährung gibt, ist auch klar.

Dass Angeklagte aber Bewährung bekommen, wie im Fall der Mutter mit den ausgesetzten Babys, weil die Justiz die Akte mehrere Jahre liegen ließ, darf aber nicht passieren.

Wir bedauern das außerordentlich, dass es in wenigen Verfahren zu Verzögerungen kommt. Wir müssen Fälle vorrangig behandeln, bei denen Beschuldigte in Untersuchungshaft sitzen. Wir haben hier sehr, sehr viel zu tun, weil wir ein Großstadtgericht sind, bei dem die Verfahren komplexer sind und länger dauern als in anderen Städten.

Man hat erst in den vergangenen Jahren gemerkt, dass für diesen Arbeitsaufwand die Personalausstattung nicht auskömmlich war. Dann haben uns Justizministerium und Oberlandesgericht stark unterstützt, was zur Einrichtung zahlreicher neuer Strafkammern geführt hat. Da sind wir mittlerweile auf einem guten Weg.

Eine weitere Baustelle ist das marode Justizgebäude…

Mein Büro gefällt mir, insbesondere habe ich ja auch Domblick (lacht). Natürlich platzen wir hier aus allen Nähten und trotz vieler Renovierungsbemühungen könnte es hier und da noch schöner sein.

Was wünschen Sie sich für einen geplanten Neubau?

Ein Neubau müsste für mich die Bedeutung der Justiz für die Gesellschaft besser widerspiegeln als der Betonklotz hier an der Luxemburger Straße. Ein moderner Neubau mit viel Glas könnte schön für Transparenz und Modernität der Justiz stehen.

Sie haben ein Jahr in Texas Einführung ins amerikanische Recht studiert. Welcher Eindruck bleibt?

Das sind total krasse Unterschiede, das kann man sich als Deutscher nicht richtig vorstellen, auch wenn wir durch die amerikanischen Spielfilme schon ein Bild davon haben. Gerade die Todesstrafe und das Jury-System sind Dinge, die mich abschrecken. Ich habe Todeskandidaten vor der Vollstreckung besucht, und da die europäische Humanität und unser Rechtssystem erst recht schätzen gelernt.