Tempo 30 in KölnRekers Corona-Plan: Wie in einer WG? Oder wie bei Trump?

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Ganz Köln diskutiert über den Brief von Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Das Foto entstand 2016 bei einem Interview.

von Chris Merting (mert)Oliver Meyer (mey)

Köln – Der Brief von Oberbürgermeisterin Henriette Reker an NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) schlägt hohe Wellen und wird in der Stadt heftig diskutiert. Die OB will Fahrspuren für Pkw trotz vorhandener Radwege für Radfahrer freigeben, um mehr Raum zu schaffen, damit Corona-Abstände zwischen Fußgängern und Radfahrern besser eingehalten werden können. Auch unsere Redakteure sind unterschiedlicher Meinung. Hier ihre Kommentare:

Contra: Rekers Vorgehen ist purer Populismus

Geht es Henriette Reker wirklich darum, dass durch diese Maßnahme mehr Raum geschaffen wird, damit Kölner Bürger besser den Corona-Abstand einhalten können? Das darf doch mehr als bezweifelt werden, denn: Den halten sie nämlich vorbildlich ein, daher sinken die Infektionszahlen, und Lockerungen wurden beschlossen.

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Wenn Henriette Reker jetzt noch mehr Straßen zur Nutzung von Radlern freigeben will und zudem Tempo 30 in ganz Köln einführen will, dann geht es nur um Politik.

Es ist eine Forderung, die eine Minderheit bevorzugt und eine große Masse an anderen Verkehrsteilnehmern massiv einschränkt. Der tiefe Sinn dürfte aber sein, dass die Oberbürgermeisterin mit diesem Schachzug die Stimmen von Linken und Grünen sichern möchte, die sonst an ihren Mitbewerber Andreas Kossiski (SPD) verloren gehen könnten.

Kölner Corona-Krise: Reker mit einer billigen Trump-Taktik

Und vorauseilend schiebt sie in ihrer Begründung gleich hinterher, dass man die eine oder andere Maßnahmen an Stellen bestehen lassen könnte, wenn sie sich später als geeignet erachtet.

Sorry, aber das verstößt gegen alle Gepflogenheiten, wenn man einen Ausnahmezustand zum Durchdrücken von politischen Zielen nutzt. Normalerweise würde nämlich der Rat der Stadt Köln darüber entscheiden. Donald Trump agiert in den USA mit ähnlichen Mitteln.

Kölner Corona-Krise: Reker mit purem Populismus

Oder ist die Idee letztlich sogar klug? Denn bekommt Reker die Erlaubnis aus Düsseldorf, hat sie ihr Ziel erreicht. Wenn nicht, dann hat sie den anderen Parteien wenigstens gezeigt, wofür sie zukünftig steht. Und zwar für Populismus und Taktik. Nicht für Problemlösung und Bürgernähe.

Oliver Meyer

Pro: Temporäre Neuaufteilung – wo ist das Problem?

Die einen benötigen zurzeit viel weniger Raum, die anderen mehr. Also teilt man den Raum entsprechend neu auf. Was in einer Wohngemeinschaft jedem einleuchten würde, löst bei Straßen sofort eine hitzige Debatte, Vermutungen, ja Panik aus. Denn Straßen sind hierzulande ein ideologisches, stark vermintes Kampfgebiet.

So wittern jetzt einige einen Handstreich gegen Autofahrer.

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Leute, selbst wenn Oberbürgermeisterin Henriette Reker es tatsächlich im Sinn hätte, sie kann nicht überall Radspuren einrichten und flächendeckend Tempo 30 einführen. Aus rechtlichen Gründen. Wir leben in Deutschland, hier wackelt derzeit vieles, aber doch nicht die allgemeingültige Straßenverkehrsordnung. Oder?!

Wird Köln das neue Fahrrad-Paradies? Das entscheidet nicht Frau Reker

Mal praktisch: Wo sollen denn all die städtischen Mitarbeiter herkommen, die Köln über Nacht in ein Fahrradparadies, in ein Kopenhagen am Rhein herbeisprühen und ummodeln könnten?

Jetzt alle mal ab unter die Realitätsdusche! Es sollte lediglich darum gehen, bei einigen Straßen den Raum zwischen Autofahrern und Radlern anders aufzuteilen. Idealerweise dort, wo es Sinn macht. Und temporär, wie es die Stadtspitze bekräftigt.

Das sollte klar sein: Über die Verkehrspolitik in Köln entscheidet nicht die Stadtspitze, sondern der gewählte Rat als Souverän. Nicht trotz, sondern gerade in einer Krise.

Chris Merting