Skandal in JVA AachenSchließer ließen Häftling neun Minuten hängen – Pflegefall!

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Skandal in der JVA Aachen.  Hier sitzen rund 700 Gefangene hinter Gittern. Für Häftling Fatih Güclü die letzte Station einer Knastrundreise durch NRW.

von Philipp Meckert (pm)

Die JVA Aachen sorgt für Schlagzeilen ohne Ende: Vor vier Wochen entkam ein Sexverbrecher beim Brauhaus-Besuch. Jetzt hat der Skandal-Knast eine Klage am Hals.

Der neue Fall wirft ein Schlaglicht auf das brutale Leben hinter Gittern – und könnte das Land NRW viele Millionen Euro kosten!

Es war ein grauenhafter Anblick für die drei Vollzugsbeamten, die ihren Häftling morgens abholen sollten: Der Mann (damals 29) hängt stranguliert am Zellenfenster, die Arme verdreht, sein Körper baumelt über einem kaputten Stuhl.

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Der Kopf, seinen Hals würgt eine Schlinge aus Bettlaken, ist blau angelaufen.

Was dann geschieht, ist für die Kölner Anwältin Corinna Born (59), die die Familie Güclü vertritt, unfassbar: „Die Vollzugsbeamten haben den Mann nicht sofort aus der lebensgefährlichen Situation befreit, sondern sind, obwohl sie zu dritt an der Zellentür standen, zunächst zu ihrem Vorgesetzten gegangen und haben ihm die Situation geschildert.“

Im Klartext: Die Gefängniswärter ließen einen Knacki mindestens neun Minuten hängen!

In der Tat, so belegen es die Akten, ging der Anruf beim Rettungsdienst um 9.09 Uhr ein.

Erst danach kamen die Beamten zurück in die Zelle, schnitten Fatih Güclü los, legten ihn auf den Boden und begannen mit Wiederbelebungsmaßnahmen.

Per Hand – einen Defibrillator, wie er an öffentlichen Plätzen fast überall greifbar ist, gab es vor Ort nicht.

Stadt Köln wollte den Intensivtäter abschieben

2007 erließ die Stadt Köln eine Ordnungsverfügung, wonach Fatih Güclü direkt nach Haftentlassung in die Türkei abgeschoben werden sollte. Begründung: Er war wegen mehrerer Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt. Er klagte dagegen. Bemerkenswert: Ein JVA-Leiter regte an, den Mann vorzeitig abzuschieben, weil seine Straftaten in den NRW-Knästen kein Ende nahmen.

Die Notärztin übernahm. „Sie stellte aber auch fest, dass sein Gehirn möglicherweise durch längeren Sauerstoffmangel einen erheblichen Schaden davon getragen haben könnte“, wird später einer der JVA-Mitarbeiter aussagen.

Und das war so: Seit diesem Tag - es war der 11.März 2012 - ist Fatih Güclü ein Schwerstpflegefall und wird in einem Leverkusener Heim betreut.

Anwältin Born: „Herr Güclü ist ein Vollpflegefall für den Rest seines Lebens. Dies hat das Land zu vertreten. Wir klagen auf 10.000 Euro Pflegeaufwand pro Monat und Schmerzensgeld von 500.000 Euro.“

Wie kam es zu diesem Vorfall?

Warum haben die Wärter so lange gezögert? Standen sie einfach unter Schock? Oder haben sie falsch gehandelt?

Keiner weiß es. Fakt ist: Güclü war Intensivtäter, wurde 2005 wegen gefährlicher Körperverletzung zu sieben Jahren Haft verurteilt.

Während seiner Knastzeit hatte er immer wieder auch eigene Notlagen vorgetäuscht, um seine Aufpasser blitzartig brutal zu attackieren.

Deshalb war der Mann, bei dem eine Psychose und eine „dissoziale Persönlichkeitsstörung“ erkannt wurde, als „besonders gefährlicher Gefangener“ eingestuft. Wie gefährlich Güclü war, beschreiben diverse Dienstanweisungen.

Neben Anwesenheitspflicht von „mindestens drei Bediensteten“ und der Ausstattung der Zelle mit einer zusätzlichen Gittertür heißt es: „Auch in Notsituationen ist der Gefangene erst zu fesseln, bevor medizinische Versorgung geleistet wird.“

Kaum zu glauben: Trotz extremer Maßnahmen gab es immer wieder neue Attacken und brutale Körperverletzungen gegen die Wächter, listenweise Vorfälle füllen Akten.

Dies war kein Einzelfall

Bei einem Prozess in Köln – es ging wieder um Körperverletzung – gab es martialische Szenen: Güclü musste von drei bewaffneten Polizeibeamten mit Sturmhauben und Helmen begleitet werden, zusätzlich zu drei Justizwachtmeistern.

Seine Hände waren in Schellen am Bauchgurt gefesselt, auch die Füße lagen in Ketten.

„Der Mann wurde jahrelang gehalten wie ein Tier“, sagt Anwältin Born. „Wer ein Tier jahrelang einsperrt und in Ketten legt, hat den Tierschutz am Hals.“

Wir baten die JVA Aachen um Stellungnahme zu dem Fall. Vize-Chefin Charlotte Adams-Dolfen erklärte: „Ich bitte um Verständnis, dass im Hinblick auf das laufende Gerichtsverfahren nicht beabsichtigt ist, eine Stellungnahme zu dem Sachverhalt abzugeben, der den Gegenstand des Gerichtsverfahrens bildet.“

Morde, Selbstmorde, Vergewaltigungen

Immer wieder kommt es zu Selbstmorden in den Knästen Nordrhein-Westfalens. In der JVA Köln gab es im Sommer 2014 zwei Suizide innerhalb von zwei Wochen.

In Werl hatte ein verurteilter Sexualstraftäter in der „Liebeszelle“ seine langjährige Freundin getötet.  Er hatte zwei Messer und ein Werkzeug mit in den Besucherraum geschmuggelt.  Fünf Monate danach erhängt er sich.

Einen schrecklichen Vorfall gab es auch in der JVA Siegburg: Im Winter 2006 ermordeten drei Insassen (damals 17,19,20) des Jugendgefängnisses bestialisch ihren 20-jährigen Mithäftling.

Vorher folterten und vergewaltigten sie ihn. Ihr Motiv: Sie wollten einen Menschen sterben sehen.

In der JVA Aachen drang mal ein Schwerverbrecher  in das Büro einer Sozialarbeiterin ein und packte sie am Hals, um sie zu küssen. Ab in die Zelle.

In Köln wurden einmal zwei JVA-Mitarbeiter außerhalb des Knastes mit Pfefferspray attackiert. Sie hatten einen Häftling , der offenbar Übelkeit vorgetäuscht hatte, zu einem Krankenhaus gefahren. 

Nach einem Handgemenge  konnte der Angreifer flüchten, die Befreiung misslang.