Irre BiografieDer Flüchtling, der Kölns Nachtleben erobert

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Der junge Inder vor dem Aufbruch ins Ungewisse.

Köln – Kölns irrste Gastro-Biografie beginnt 1975 in einem Dorf nahe Neu-Delhi. Ein kleiner Junge wird in eine Bauernfamilie geboren, die hart um die Existenz kämpfen musste: „Ich schuftete mit meinen Eltern auf den Reisfeldern. Wir schnitten die Halme, klopften die Körner heraus. Tag für Tag, Jahr für Jahr. Mit den Halmen fütterten wir die Tiere. Gemüse ernten, Kühe melken – das machte ich auch noch.“

Hilfe kam aus dem Dorf. Das Motto „Man kennt sich, man hilft sich“ wird Sanjeev Sharma, wie der Junge heißt, später noch oft in Köln hören: „Zehn Familien trafen sich jeden Tag und arbeiteten dann Feld für Feld ab. Die bei uns, wir bei ihnen. Wir alle bei anderen. Diese Hilfsbereitschaft prägte mich.“

Kölns Kultfigur Blumen-Bobby hat beeindruckende Biografie

Klar, es geht um „Blumen-Bobby“. Der Mann, der seit 25 Jahren am Ring Rosen verkauft und im Kölner Nachtleben eine prominente und beliebte Figur ist. Der erst „Wurst Willy“ am Klapperhof und dann die Bude am „Pascha“ und dann die Kult-Bar „Lotte“ im Friesenviertel übernahm – und in „Bobby's Bar“ umtaufte (hier lesen Sie mehr).

Der nebenbei einen Spielautomatenbetrieb aufbaute und auch noch der Promi-Bar „Bruegel“, die seit vielen Jahren nahe Rudolfplatz leer steht, wieder Leben einhauchen will. Und dabei soll es nicht bleiben ... Sein Leben ist fast filmreif und „Deutschlands bekanntester Rosenverkäufer“ flimmerte schon als TV-Beitrag auf Pro7. Der kurze Film ist seit drei Monaten auf Youtube zu sehen und zählt schon knapp 140.000 Aufrufe. So beliebt und bekannt ist der Kölner.

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Tag und Nacht auf den Kölner Ringen unterwegs: Blumen Bobby 2009.

Blumen-Bobby im Visier der Ring-Mafia

Immer wieder machten aber auch Gerüchte um dubiose Gestalten die Runde, die angesichts der nächtlichen Umsätze bei Blumen-Bobby abkassieren wollen. Einmal gab es auch einen Prozess um Gastronomen, die „Geschenke“ verlangten, wenn der Rosenverkäufer mit seiner Ware nochmal ihr Lokal betritt. „Wenn ich unangenehmen Besuch bekomme, sagte und sage ich jedesmal: Wenn du mir drohst, gehe ich morgen zur Polizei und übermorgen zum EXPRESS und berichte, wer du bist und was du von mir willst. Das hat sich rumgesprochen. Seitdem habe ich meine Ruhe.“

Kölner Gastronom kam als Flüchtling

Sharma, der schon früh eine Sehnsucht nach der Schönheit und dem Duft der Rosen hatte, schloss sich als Jugendlicher einer Partei an: „Wir waren streng gläubig und sehr rechtsgerichtet. Es war eigentlich Quatsch: Wir waren gegen Ausländer, obwohl es bei uns gar keine gab! Aber ich bekam dadurch solche Probleme, dass ich aus Indien weg wollte.“

Das Abenteuer begann: Schleuser besorgten dem Gastronomie-Lehrling 1994 ein One-Way-Ticket von Neu-Delhi nach Berlin. Dort wurden 20 Flüchtlinge mit einem Bus abgeholt und direkt ins tiefste Ostdeutschland gekarrt. Kurz vor der Grenze zu Polen stoppte der Brummi: „Es war eine Reise ins Ungewisse. In Görlitz wurden wir einfach auf die Straße gesetzt, und der Bus fuhr davon. Ich hatte Angst. Ich fühlte mich wie ein Paket, das man irgendwo einfach abwirft - und das war’s.“

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Sein ganzer Stolz: Das Lokal „Bobby's Bar“ im Klapperhof, ehemals „Lotte Haifischbar“.

Kölner Rosenverkäufer war im Gefängnis

Die Polizei griff den Flüchtling auf und steckte ihn 49 Tage lang ins Gefängnis, um seinen Asylstatus zu klären. „Ich war mit volltätowierten Glatzköpfen gefangen. Die bauten sich vor uns Indern wie Gorillas auf und beschimpften uns. Wir haben aber nichts verstanden und lachten nur. Weil das einfach lächerlich aussah.“ Die Zeit in der JVA nutzte er, um Deutsch zu lernen und mit Sozialarbeitern zu sprechen.

Offiziell als Einwanderer anerkannt, ging seine Tour durch Sachsen weiter: Eine Familie in Zwickau war bereit, ihn zu adoptieren. „Ich wurde sehr herzlich aufgenommen. Im Osten sind viele gute Menschen. Dort lebte ich bis 1996 und wollte dann in den Westen. Ich zog nach Köln, um hier mein Glück zu versuchen.“

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Jecker Polaroid-Schnappschuss: Auch im Karneval ist Bobby bekannt, hier mit Stefan Jung, Prinz 2017.

Kölner Nachtleben: Mit Rosen rollt der Rubel

Sharma erinnerte sich wieder an seine geliebte Rosen aus der Heimat. Er beantragte bei der Stadt ein Gewerbe als Blumenverkäufer und legte los. Für damals 1,20 Mark pro Stück kaufte er Rosen auf dem Großmarkt ein und verkaufte sie teilweise für fünf Mark in Kneipen und Restaurants der City.

Rasant gingen bei der feuchtfröhlichen Kundschaft die Sträuße reihenweise über die Theken und „Blumen-Bobby“, wie er sich nun nannte, erkannte das schnelle Geld: „Rosen verkaufen ist ein lukratives Geschäft, weil man wenig Investitionen hat. Man braucht keinen Laden, kein Personal. Nur viel Fleiß und ein Auto, in dem man die Blumen lagert und Nachschub holen kann.“ Zehn Stunden pro Nacht, sieben Tage die Woche, Monat für Monat, und das seit 25 Jahren. Mit den Rosen rollt der Rubel …

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Jecker Polaroid-Schnappschuss: Mit Gastronom Markus Zehnpfennig, Prinz Karneval 2010, will Bobby das Bruegel am Hohenzollernring wiedereröffnen.

Sanjeev Sharma: Bald Schluss mit Rosen?

Klar ist: Auch wenn Sharma nun als Gastronomie-Unternehmer eigentlich keine Blumen mehr verkaufen muss, um seine Familie zu ernähren – er tut es trotzdem noch gelegentlich: „Sobald ich Rosen in der Hand habe, weiß ich, wo ich herkomme. So bleibe ich immer auf dem Boden.“

Allerdings mache ihm das Finanzamt zu schaffen, die schon mal zu einer horrenden Nachzahlung aufgefordert hätten: „Viele Ausländer arbeiten in einfachen Jobs, sollen aber die komplizierte Buchführung mit Excel-Tabellen und die Regeln der Behörden beherrschen. Das hat ihnen aber keiner beigebracht. Und wenn dann ein Fehler passiert, wird das doppelt bestraft.“ Deshalb hat Blumen-Bobby nun auch ein EC-Lesegerät dabei, damit die Rosen bargeldlos bezahlt werden können – und das Finanzamt Ruhe gibt.

Schöne Erlebnisse beim Rosenverkauf

Seine schönsten Erlebnisse im Kölner Nachtleben? „Wenn Frauen mich so sympathisch finden, dass sie mir eine Rose abkaufen – um sie mir dann zu schenken. Und die Herzlichkeit meiner weiblichen Kunden. Viele hatten sich verliebt, als ich ihnen eine Rose verkaufte oder mit meiner Polaroid-Kamera das erste gemeinsame Foto machte. Das schafft Erinnerungen, die verbinden.“