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Report nach Poldi-KritikDrogenhölle Neumarkt: So leiden die Anwohner im Herzen Kölns

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Über der Flamme eines Feuerzeuges kocht eine drogensüchtige Frau im Druckraum eine Portion Crack in einem Löffel auf, um sich die Droge anschliessend zu spritzen. Das Symbolbild entstand 2019 in Frankfurt.

Köln – Pöbeleien und Randale, Tag und Nacht: Nach dem Angriff von zwei betrunkenen Männern auf seine Eisdiele am Heumarkt hat Ex-FC-Stürmer Lukas Podolski scharfe Kritik geäußert (hier lesen Sie mehr). Die Zustände in der Stadt seien stellenweise unhaltbar, die Menschen könnten sich an vielen belebten Orten nicht wohl und sicher fühlen. Man werde oft Augenzeuge, wie Leute offen Drogen konsumieren.

Einer der umstrittensten Plätze, für den Podolskis Beschreibung zutrifft, ist der Neumarkt. Der Alltag, den die Bürger hier erleben, ist geprägt von latenter Bedrohung und Gefahr. Menschen schwanken über die Bürgersteige. Verzweifelt, zugedröhnt, oft unzurechnungsfähig.

Glasige Augen, aggressive oder leere Blicke. Ob Geschäftsleute, Anwohner oder Passanten, alle wissen: Das Leben am Neumarkt, dem zentralsten Platz von Köln, ist (zu) hart. Der Drogensumpf von Köln zeigt sich hier von seinen dunkelsten Seiten.

Alles zum Thema Polizeimeldungen

Lesen Sie den großen EXPRESS-Report. Heute Teil 1: Wie Anwohner und Geschäftsleute über Drogensumpf, Aggressionen und Verwahrlosung klagen.

Eigentlich sollte der im Dezember aufgestellte städtische Drogenkonsumraum auf dem Cäcilienhof die Lage verbessern. Doch Anwohner schreien um Hilfe: Es sei nicht mehr zu ertragen. Denn der Raum ziehe viel mehr Süchtige an.

Für Walter Schuch, Geschäftsführer des alteingesessenen Sanitätshauses Stortz in der Fleischmengergasse, ist es schon fast trauriger Alltag: „Als ich morgens um 8 Uhr den Laden aufschließen wollte, rauchte dort ein Junkie Crack. Als ich ihn bat, den Eingang frei zu machen, schrie er mich an: Ich haue dir auf die Fresse, du Sau! Ich stech dich ab!“

Doch die Bedrohung findet auch im Laden statt: „Die Junkies kommen hier rein, schleichen bis hoch in die Büroetagen und klauen alles, was sie kriegen können. Einmal prügelten sich im Verkaufsraum fünf Junkies im Laden, bewarfen sich mit Stühlen und rissen den Feuerlöcher aus der Wand. Sie hatten Stress wegen Drogen.“

Schuch engagiert sich bei der „Bürgerinitiative Zukunft Neumarkt“, die immer wieder Druck auf die Stadt ausüben will. Ihre Sorge: Wenn Stadt und Polizei jetzt nicht vehement und effektiv die Drogenszene in den Griff kriegen, sieht es düster aus mit der Zukunft des Neumarkts.

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„Der Neumarkt soll keine Crack- und Heroinhölle werden!“ Dafür kämpfen Guido Köhler, Alexandra Evers und Walter Schuch (v. l.) von der Bürgerinitiative Zukunft Neumarkt.

Schuch: „Ich glaube: Der Kampf ist verloren. Die Dealer und Hintermänner sind aufgestellt wie eine Partisanen-Armee.“ Es gebe gut organisierte Späher, Informanten, Vorposten, Verstecke.

„Diese Typen sind perfekt vernetzt, ziehen sich nur kurz zurück und kommen immer wieder. Es geht ja um ein Millionengeschäft an Drogen. Keine Polizei und kein Ordnungsamt kommt gegen sie an.“

Anwohner Guido Köhler, der mehrmals pro Woche wegen des offenen Drogenhandels und der Bedrohungen durch Junkies die Polizei ruft, sagt: „Wir erwarten von der Stadt die Sicht auf alle Betroffenen, die am Neumarkt und drumherum leben und arbeiten. Sie darf nicht nur den Fokus auf die Hilfsangebote für die Abhängigen richten. Jedem Drogenkonsum liegt ein Drogendeal zugrunde. Der oftmals mit Beschaffungskriminalität finanziert wird. Hier muss die Stadt handeln.“

Bürgerinitiative Zukunft Neumarkt warnt vor Junkies

Die Horror-Spirale könnte ihrer Meinung nach so aussehen: Immer mehr Armut, immer mehr Bettler und Junkies am KVB-Knotenpunkt und Shopping-Hotspot Neumarkt. Dadurch weniger Kundschaft und Passanten, immer mehr Geschäfts- und Wohnungsaufgaben, Umzüge, Leerstand und Verwahrlosung.

Köhler: „Anwohner ziehen hier weg, junge Familien wollen hier nicht wohnen, Senioren trauen sich nicht mehr auf die Straße. Wenn Eltern mit Kindern hören, dass ich am Neumarkt wohne, sagen die: Komm lieber uns besuchen.“

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Guido Köhler am weißen Kubus vom „Haus der Architektur Köln“: „Hier wurden Steine ausgehoben, um Drogen zu verstecken."

Immer wieder kommt es auch zu größeren Polizeieinsätzen, die die Anwohner aus dem Schlaf reißen, wie am Donnerstag (2. Juli) um 23 Uhr: Vier Streifenwagen rückten an, als am Josef-Haubrich-Hof im Bereich Stadtbibliothek eine größere Schlägerei gemeldet wurde.

Josef-Haubrich-Hof: Schlägerei reißt Anwohner aus Schlaf

Wie die Polizei mitteilte, hatten sich zwei Männer (22, 25) aus der Drogenszene geprügelt. „Bei dem 25-Jährigen, den wir mit einer gebrochenen Nase im RTW ins Krankenhaus der Augustinerinnen haben fahren lassen, haben die Kollegen ein mutmaßlich gestohlenes Fahrrad sichergestellt und eine entsprechende Strafanzeige geschrieben. Sein Kontrahent erhielt einen Platzverweis", so Polizeisprecher Christoph Gilles.

Auch Alexandra Evers, die vor Ort arbeitet, hatte viele unangenehme Erlebnisse. Crack-Raucher hockten auf den Treppen und Fluren. Vom Drogenmissbrauch würden die Nutzer unheimliche Psychosen bekommen und hochaggressiv werden: „Wer sich wehrt, wird angespuckt oder mit einer Spritze bedroht.“

Evers weiter: „Wir sind mit unserer Praxis jetzt auf die andere Seite vom Neumarkt, Richtung Apostelnstraße umgezogen. Da ist mehr die Alkoholfraktion. Auch nicht schön, aber nicht so bedrohlich.“

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Jede Menge Drogenmüll hinter einer Tür zur Stadtbibliothek, in der täglich zahlreiche Kinder zu Besuch sind.

Die Bürgerinitiative nahm EXPRESS mit auf einen Rundgang zum Josef-Haubrich-Hof. Das Ärzte- und Geschäftshaus bildet mit der würfelförmigen Stadtbibliothek, der VHS und den beiden Museen und Kirchen ein Labyrinth.

Überall Ecken, Schächte, Nischen und dazu noch Einfahrten zu zwei Tiefgaragen. Perfekt für Verstecke, Sammelpunkte, Schlupflöcher.

„Achtung, da kommen sie“, sagt Schuch und wir drehen uns um. Wie auf einem Trampelpfad laufen Junkies durch den Josef-Haubrich-Hof zwischen der Pizzeria „Atrium“ und deren Terrasse mit Gästen hindurch. Die Männer haben sich offenbar Stoff besorgt und wollen ihn jetzt im Drogenkonsumraum rauchen oder spritzen. Der Druck ist ihnen anzumerken.

Restaurant-Chefin Susanne Ameida wurde wenige Stunden vorher noch bedroht, als sie einen Gast vor einem Junkie schützen wollte, der Schreck sitzt ihr noch in den Gliedern.

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Susanne Ameida, Chefin der Pizzeria Atrium, muss sich oft mit Übergriffen von Drogenabhängigen und Bettlern auseinandersetzen. Gäste und Nachbarn bewundern ihre Stärke.

„Diese Leute klauen den Gästen die Pizzastücke vom Teller oder stehlen mir die Löffel vom Tisch, um sich damit ihre Drogen zu kochen. Ich bin oft fertig mit den Nerven.“

Nur wenige Meter gegenüber haben die Junkies auch am weißen Kubus vom „Haus der Architektur Köln“ ihre Spuren hinterlassen. Rund herum wurden Steine ausgehoben, um sie als Drogenbunker zu nutzen.

Neumarkt-Anwohner schützen sich mit eigener Security

Da sich die Anwohner und Geschäftsleute im Veedel offenbar von Polizei und Ordnungsamt nicht mehr ausreichend geschützt fühlen, haben sie einen privaten Schutz organisiert. Die immense Belastung durch die Drogenszene kostet also nicht nur viele Nerven, sondern auch bares Geld.

Der Sicherheitsdienst im Josef-Haubrich-Hof etwa wird mit 64.000 Euro pro Jahr auf die Geschäftsleute und Mieter umgelegt. Nicht nur das: Weil die Straßenreinigung nun öfters vorbeikommt, um den Junkie-Müll zu beseitigen, steigen auch die AWB-Gebühren für die Grundstückseigentümer deutlich.

„In 2019 kam die AWB sieben Mal pro Woche, in diesem Jahr sind es 13 Mal“, sagt Schuch und zeigt dem EXPRESS seinen Bescheid über die neuen Grundbesitzabgaben: „Ich zahle jetzt rund 2000 Euro pro Jahr mehr.“

Lesen Sie morgen in Teil 2 des großen EXPRESS-Reports: Warum betroffene Bürger eine Drogenszene-App für den Neumarkt entwickeln, was Stadt und Polizei zur brisanten Lage sagen.