Drogenhölle Neumarkt, Teil 4Krisengipfel bei Kölns Stadtspitze – Frust bei Anwohnern

DSC_0879

Junkies sind seit über 30 Jahren am Neumarkt zu sehen. Polizei und Stadt haben das Problem dort nie in den Griff bekommen. Das Foto entstand 2014.

Köln – Offener Rauschgifthandel, Horden an Junkies, aggressive Betteleien: Die Drogenszene am Neumarkt versetzt viele Anwohner, Geschäftsleute und Passanten seit Jahren in Angst und Schrecken.

Nachdem EXPRESS in einer mehrteiligen Berichterstattung die eskalierenden Zustände und den verzweifelten Protest der „Bürgerinitiative Zukunft Neumarkt“ öffentlich machte (hier lesen Sie mehr), rief Kölns Sozialdezernent Prof. Dr. Harald Rau eine hochkarätige Krisenrunde mit mehr als ein Dutzend Teilnehmern ein.

Drogenhölle Neumarkt: Krisengipfel bei Kölns Stadtspitze

Mit dabei waren hochrangige Vertreter von Stadt und Gesundheitsamt sowie Chefs von Polizei und Ordnungsamt. Als direkt Betroffene Dr. Oliver Lueb vom Rautenstrauch-Joest-Museum (RJM) und Dr. Moritz Woelk vom Museum Schnütgen.

Alles zum Thema Polizeimeldungen

Ebenso Vertreter der von Junkies belagerten Immobilien nahe Neumarkt, wie dem Apcoa-Parkhaus an der Cäcilienstraße und dem Josef-Haubrich-Hof. Hier haben mehrere Ärzte ihre Niederlassungen und teilen ihre Sorge um Patienten und Mitarbeiter, die tagtäglich mit der Szene in Berührung kommen und sich überlegen, die Praxis zu wechseln.

Auch ein Sozialarbeiter berichtete vom Alltag rund um den neuen Drogenkonsumbus. Etwa, dass schon mehrere Leben hätten gerettet werden können, weil die kollabierenden Süchtigen im Bus entdeckt wurden und nicht irgendwo regungslos in der Umgebung lagen.

Guido Köhler von der BI Zukunft Neumarkt war auch dabei: „Nachdem jeder der Teilnehmer ein längeres Statement abgeben konnte, kristallisierte sich heraus, dass die Vertreter der Stadt die Eigentümer am Neumarkt in die Pflicht nehmen wollen, die Lage vor Ort zu verbessern. Das stieß jedoch auf Ablehnung.“

Neumarkt: Vorstoß der Stadt stößt auf Ablehnung

Köhler weiter: „Die Stadt kann ja nicht den Neumarkt mit dem Drogenkonsumbus zu einem Treffpunkt für Abhängige machen und sogar damit werben – und dann die Anlieger auffordern, sich um die Süchtigen, die von ihnen ausgehende Gefahr und den Müll zu kümmern.“

Wie EXPRESS erfuhr, habe ein Parkhausbetreiber, in dessen Einfahrten und Etagen die Junkies herumlungern, die Stadt unverblümt aufgefordert, die prekäre Lage schnellstmöglich zu verbessern. Andernfalls werde Oberbürgermeisterin Henriette Reker Post vom Anwalt bekommen.

Die Stadt sei für das geschaffene Umfeld verantwortlich, der täglich zu entsorgende Müll aus Spritzen und Drogenverpackungen nehme immer mehr zu, die Zahl der Kunden der Tiefgaragen ab, wurde EXPRESS berichtet.

Auch die städtischen Museen fühlen sich offenbar der Situation ausgeliefert. „Museen müssen öffentliche Plätze des Austausches und der Begegnung sein“, betonte RJM-Vize-Chef Dr. Oliver Lueb nach dem Gespräch gegenüber EXPRESS.

„Während der Diskussion hatten die Vertreter der Museen klargemacht, dass man die Häuser nicht mit Zäunen umgeben könne, um die Süchtigen auf Distanz zu halten“, berichtet Köhler. „Es soll vorgekommen sein, dass Junkies die Gäste vorm Museum und im Café nach Geld anbetteln oder ihnen Drogen verkaufen wollen.“

Neumarkt: Polizei bald wieder mit mehr Personal vor Ort

Und was machen Polizei und Ordnungsamt? Sie würden regelmäßig den Platz mit Streifen überwachen. Allerdings habe man wegen der Corona-Pandemie in den vergangenen Monaten andere Schwerpunkte und insofern einen Personalengpass vor Ort gehabt. Nun laufe man bald wieder in alter Stärke auf, wurde EXPRESS berichtet.

„Zudem gab die Polizei uns als Betroffenen einen Rat“, erzählt Alexandra Evers von der BI Zukunft Neumarkt: „Wir sollen jetzt immer, wenn es Zwischenfälle mit Junkies oder Dealern gibt, die 110 rufen. Nur wenn diese Einsatzzahlen in der Statistik auftauchen, könne die Polizei vor Ort personell aufstocken.“

Das Problem: Um bei Gefahr in Verzug nicht längere Zeit auf die Polizei zu warten, bezahlen Geschäftsleute und Anwohner im Josef-Haubrich-Hof einen privaten Sicherheitsdienst. Auch deshalb könnten die Einsatzzahlen der Polizei im Vergleich zum Vorjahr um elf Prozent zurückgegangen sein.

Neumarkt: Anwohner sollen bei Vorfällen immer die Polizei rufen

Die neuen Wachleute sind im Notfall direkt da und fordern die bedrohlichen Junkies mit Nachdruck auf, das Gelände oder die Privaträume zu verlassen. „Warum sollten wir dann zusätzlich noch die Polizei rufen, wenn der Vorfall schon vorbei ist? Aber genau das sollen wir nun tun.“

Als Resümee des Krisengipfels zieht Guido Köhler eine frustrierende Bilanz: „Es war enttäuschend. Wir wurden zwar von der Politik angehört, es kam aber außer der Ankündigung, eine neue Fachgruppe zu gründen, nichts Konkretes, wie die Lage am Neumarkt kurz- oder langfristig verbessert werden soll.

Im Gegenteil: Es wurde immer wieder betont, dass der neue Drogenkonsumraum, der bald im Gesundheitsamt eingerichtet wird, statt bisher vier dann zwölf Plätze hat. Dann würde alles besser.“

Für Köhler und Evers eine Horrorvorstellung: „Das bedeutet, dass statt 100 Konsumvorgängen am Tag dank der Stadt dann dort sicher mehr als 300 stattfinden. Das wären also rund 100.000 Mal Heroin spritzen oder Crack rauchen pro Jahr. Und das heißt, dass vorher rund um den Neumarkt 100.000 Drogengeschäfte abgewickelt wurden, oftmals mit Beschaffungskriminalität finanziert.“

Drogenhölle Neumarkt: Das sagt der Beigeordnete Dr. Harald Rau

EXPRESS bat Dr. Harald Rau, Beigeordneter für Soziales, Umwelt, Gesundheit und Wohnen, um ein Statement zum Krisengipfel: „Der Austausch fand in sachlicher, gegenseitig wertschätzender Atmosphäre statt. Die Anwesenden haben die positive medizinische und humanitäre Wirkung der Drogenkonsummobile bestätigt, haben aber berichtet, dass die erhoffte ,Entlastungswirkung‘ auf das Erscheinungsbild am Neumarkt nicht eingetreten ist. Das Gesundheitsamt und ich gehen davon aus, dass der ,stationäre‘ Drogenkonsumraum im Gesundheitsamt durch attraktivere Aufenthaltsmöglichkeiten und Sanitärräume und Toiletten eine größere Entlastungswirkung haben wird. Dieser Raum soll im Laufe des kommenden Jahres in Betrieb genommen werden.“

Rau weiter: „Wir haben die Einrichtung einer Fachgruppe unter Mitwirkung des kriminalpräventiven Rats verabredet. Dort sollen konkrete Maßnahmen vorbereitet werden, die Polizei wird hinsichtlich baulicher Maßnahmen beraten und es werden Zuständigkeiten der Polizei, des Ordnungsamtes oder möglicherweise privater Sicherheitsdienste beschrieben. Die Anwesenden konnten der Darstellung der Polizei folgen, wonach die polizeiliche ,Vertreibung‘ der Konsumierenden und der Dealer keine nachhaltige Lösung ist, sondern vielfältige Einzelmaßnahmen notwendig sind.“