Kölner Apotheken-SkandalWeiteres Glukose-Tütchen mit toxischer Substanz

Heilig Geiste Apotheke WEISER

Die Heilig-Geist-Apotheke in Köln-Longerich.

Köln – Neue Information im Fall der vergifteten Glukose: Wie bereits berichtet, hatte eine weitere Patientin ein Tütchen mit Glukose aus der Heilig-Geist-Apotheke bei der Polizei abgegeben.

Dazu teilt Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer am Mittwochmittag mit: „In dem von einer Patientin nachträglich abgegebenen Tütchen sind ausweislich der Begutachtung durch das Institut für Rechtsmedizin der Universität Köln nur sehr geringe Spuren der betreffenden toxischen Substanz gefunden worden, die bei einer Einnahme offenbar nicht gesundheitsschädigend gewesen wären.“

Weitere Beweismittel werden ausgewertet

Weitere Personen hätten sich auf den Aufruf bislang nicht gemeldet. „Derzeit werden weiterhin Beweismittel ausgewertet und Zeugen vernommen. Um die mit Hochdruck betriebenen, in alle Richtungen geführten Ermittlungen nicht zu gefährden, werden derzeit keine weitergehenden Auskünfte zum Verfahren erteilt“, so Bremer.

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Betreiber will Einstweilige Verfügung gegen die Stadt

Und es gibt eine weitere Wendung im Apotheken-Skandal, der zwei Menschen das Leben gekostet hat: Der Betreiber der Heilig-Geist-Apotheke in Longerich, der „Apotheke am Bilderstöckchen“ und der Contzen-Apotheke in Bilderstöckchen, Dr. Till Fuxius, hat nach EXPRSS-Informationen beim Verwaltungsgericht Köln eine Einstweilige Verfügung gegen die Stadt Köln beantragt.

Kölner Apotheken-Chef will Öffnung erreichen

Damit will er erreichen, dass er die drei Apotheken wieder öffnen darf. Die Stadt hatte nach einer Weisung von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (62, CDU) und Regierungspräsidentin Gisela Walsken (61, SPD) am 26. September 2019 die Schließung der drei Apotheken verfügt.

Kölns Gesundheitsdezernent Prof. Dr. Harald Rau hatte es für ausreichend gehalten, dem Apotheker zu verbieten, selbst hergestellte oder abgefüllte Medikamente abzugeben. Nach einer ersten Verfügung der Stadt durfte er deshalb seine Apotheken geöffnet halten, dort aber nur originalverpackte Medikamente an Kunden herausgeben.

Genau das will der Apothekenbetreiber nach EXPRESS-Informationen mit der Einstweiligen Verfügung erreichen.

Glukose-Narkose-Mittel in Kölner Heilig-Geist Apotheke gefunden

In Heilig-Geist-Apotheke war nach bisherigem Ermittlungsstand in einem Behälter mit harmlosem Glukose-Pulver auch ein Narkose-Mittel gefunden worden, das zur örtlichen Betäubung, etwa in der Zahnmedizin, eingesetzt wird.

Eine junge Frau (28) war am 19. September bei der Einnahme des in Wasser aufgelösten Pulvers in der gynäkologischen Praxis im Heilig-Geist-Gesundheitszentrum kollabiert und wenig später in der Uniklinik gestorben. Ihr per Notkaiserschnitt geborenes Baby verstarb einen Tag später.

Am Dienstag hieß es überdies zunächst, dass nicht mehr ausgeschlossen werden könne, dass die Heilig-Geist-Apotheke auch die „Contzen-Apotheke“ und die „Apotheke am Bilderstöckchen“ mit Glukose-Pulver beliefert hat, das mit einem Narkose-Mittel versetzt ist.

Glukose-Abgabe wird nicht dokumentiert

In der Sondersitzung des Gesundheitsausschusses am späten Dienstagnachmittag erklärte Rau hingegen, dass dies für die zurückliegenden zwei Jahre ausgeschlossen werden könne. Woran er das festmacht, sagte der Gesundheitsdezernent nicht. Da Glukose im Prinzip reiner Traubenzucker ist, wird die Abgabe nicht dokumentiert.

Patientinnen, die noch Tütchen mit Glukose-Pulver zuhause haben, sollen dies nicht einnehmen, sondern das Tütchen bei der nächsten Polizeiwache abgeben.

Die Chronologie des Todes-Dramas

Die Mordkommission „Geist“ ermittelt seit einer Woche mit Hochdruck. 20 Männer und Frauen versuchen herauszufinden, wer in der Heilig-Geist-Apotheke (Longerich) ein hochgiftiges Narkosemittel in einen Behälter mit harmlosem Glukose-Pulver (Traubenzucker) gestreut hat. Aus dem Vorratsbehälter wurden Teilmengen in Tütchen abgefüllt und an schwangere Patientinnen abgegeben.Eine Mutter und ihr Kind starben (hier mehr lesen).

Mit einer Glukoselösung wird unter ärztlicher Aufsicht festgestellt, ob bei Frauen Schwangerschaftsdiabetes vorliegt. Für eine Frau und ihr Baby endete dieser Test am 19. September tödlich. Die Chronologie: 

17. September 2019, eine schwangere Patientin kam für den Glukosetoleranztest in die gynäkologische Praxis im Heilig-Geist-Gesundheitszentrum in Longerich. Das Glukose-Pulver hatte sie in der Heilig-Geist-Apotheke im selben Gebäudekomplex erhalten.

Patientin kommt ins Kölner Heilig-Geist-Krankenhaus

Die Frau klagte während der Einnahme der Glukose-Lösung über Taubheitsgefühl und Herzrhythmusstörungen und teilte mit, dass die Lösung bitter schmeckte, obwohl angekündigt worden war, sie schmecke süß. Die Patientin brach den Test ab und kam ins Heilig-Geist-Krankenhaus.

19. September, wieder kam eine Frau mit Glukose-Pulver aus der Heilig-Geist-Apotheke in die gynäkologische Praxis. Bei ihr lief der Glukosetoleranztest Angaben der Behörden zufolge problemlos.

Später am 19. September erschien wieder eine Patientin mit Glukose-Pulver aus der Heilig-Geist-Apotheke zum Test in der gynäkologischen Praxis. Sie kollabierte unmittelbar nach der Einnahme, musste reanimiert werden, ihr Baby wurde per Notkaiserschnitt geboren. Die gynäkologische Praxis informierte am Nachmittag des 19. September die Polizei, die die Ermittlungen aufnahm.

Kölner Apotheke: Zwei Todesfälle nach Glukose-Einnahme

Die Frau wurde vom Heilig-Geist-Krankenhaus in die Uniklinik verlegt, wo sie noch am Donnerstag verstarb. Das Baby kam ins Kinderkrankenhaus auf der Amsterdamer Straße und verstarb am Freitag. Das Gesundheitsamt der Stadt Köln wurde durch die Polizei am Freitag, 20. September 2019 um 10.30 Uhr informiert. Um 10.50 Uhr wurde die Sachgebietsleitung des Gesundheitsamtes informiert.

Nach Anfrage der Polizei suchen um 12.30 Uhr Mitarbeiter der Abteilung „Apothekenaufsicht“ des Gesundheitsamtes die Heilig-Geist-Apotheke auf. Ein Vorratsbehälter mit Glukose-Pulver wird sichergestellt. Um 18 Uhr informiert die Polizei das Gesundheitsamt, dass eine erste Analyse „Glukose“ bestätigt habe. Genauere Erkenntnisse erhoffte man sich von der toxikologischen Feinanalyse, die einige Tage in Anspruch nehmen werde.

Info an Kölns OB Henriette Reker erst am 23. September

23. September, um 16.09 Uhr wird durch die Polizei das Gesundheitsamt informiert, dass in dem Glukose-Pulver eine „toxische Substanz“ enthalten sei. Gegen 17.09 Uhr erreicht die Info Oberbürgermeisterin Henriette Reker (62, parteilos) und Gesundheitsdezernent Prof. Dr. Harald Rau. Um 18.00 Uhr wird die Apotheke zur weiteren Untersuchung geschlossen. Die Polizei gründet die 20-köpfige Mordkommission „Geist“.

Um 18.30 Uhr treffen sich im Polizeipräsidium Vertreter von Polizei, Bezirksregierung und Stadt Köln (Gesundheitsamt, Presseamt) und beraten darüber, wann und wie die Bevölkerung gewarnt werden soll.

Um 19.50 Uhr wird eine Pressemitteilung verschickt, durch vorab erhaltene Informationen geht der EXPRESS mit einer Eilmeldung online.

Kölner Bevölkerung wird gewarnt

Insbesondere wird die Bevölkerung vor der Einnahme von Glukose-Präparaten gewarnt, die lose in Tüten abgefüllt in der Heilig-Geist-Apotheke herausgegeben wurden. Patienten und Patientinnen sollen diese Tütchen mit Glukose-Pulver auf der nächsten Polizeiwache abgeben. Die Stadt untersagt dem Apotheker, Medikamente selbst herzustellen oder abzufüllen. Originalverpackte Medikamente darf er verkaufen.

24. September um 11.30 Uhr, am Dienstag informieren Polizei und Stadt die Presse über den Stand der Ermittlungen.

Kölner Staatsanwaltschaft: Mord steht im Raum

Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer sagt zwei zentrale Sätze: „In dem Behälter mit dem Glukose-Pulver wurde ein toxischer Stoff festgestellt, der da rein gar nichts zu suchen hat“ und „Wir können Vorsatz in der Tat nicht ausschließen!“ Also: Mord steht im Raum.

Um welchen „toxischen Stoff“ es sich handelt, wollten Vize-Polizeidirektor Andreas Koch und Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer „aus ermittlungstaktischen Gründen“ nicht sagen. Schnell stellt sich aber heraus, dass es sich um ein Narkosemittel zur örtlichen Betäubung handeln soll.

Drei Kölner Apotheken geschlossen

26. September, um 9.00 Uhr meldet EXPRESS online, dass NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (62, CDU) und Regierungspräsidentin Gisela Walsken (61, SPD) die Stadt Köln angewiesen haben, die drei Apotheken des Betreibers zu schließen. Dies diene dem „vorbeugenden Gesundheitsschutz der Bevölkerung“, eben weil Vorsatz nicht ausgeschlossen werden könne.

Lesen Sie hier: Drei Kölner Apotheken geschlossen

Harald Rau ist mit dieser Entscheidung nicht einverstanden, muss sich aber fügen. „Ich bin nach wie vor der Meinung, dass es ausreicht, dem Apotheker das Herstellen oder Abfüllen von Medikamenten zu untersagen“, sagt er.

EXPRESS bleibt dran…