Mach den Rücken krummEin Arbeitstag als Spargelstecher auf dem Heinenhof bei Köln

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Der Autor macht den Rücken krumm: „Langsam macht sich der körperliche Verfall bemerkbar.”

von Piet van Riesenbeck (pvr)

Pulheim – Es ist noch dunkel als auf einem Feld zwischen Pulheim und Esch die Erntehelfer anrollen. Verschlafen und schweigsam treten sie aus ihren Autos. Die Erntehelfer kommen heute nicht mit dem Mannschaftsbus, sondern mit dem Fahrrad oder dem BMW-Cabrio. Sie kommen nicht aus Rumänien oder Polen, sondern aus Sinnersdorf oder der Südstadt. Und ich, der EXPRESS-Reporter, bin heute einer von ihnen. 

Wegen des Coronavirus fehlen vielen Spargelbauern in ganz Deutschland Saisonarbeitskräfte, die die Ernte vom Feld holen. So geht es auch Josef Schröder (25),  dem Junior-Chef des Heinenhofes in Pulheim-Orr. Um rauszufinden, was hinter diesem Job steckt, der bei Deutschen so unbeliebt ist, habe ich ihm für einen Tag bei der Ernte des „Essbaren Elfenbeins” geholfen. 

Arbeitsbeginn um 6 Uhr morgens: EXPRESS-Reporter versucht sich als Spargelstecher

Begrüßung und Einweisung fallen recht kurz aus. Ich erhalte einen Korb, Handschuhe und ein Spargelmesser – dann geht’s los. „Der Spargel wartet nicht“, stellt Schröder klar und macht sich an der Reihe neben mir zu schaffen. „Bis zu diesem Jahr habe ich selbst nie Spargel gestochen“, gibt mein Lehrmeister zu. Aber in besonderen Zeiten muss der Chef auch selbst mit anpacken.

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Seine Erntehelfer (ein gutes Dutzend sind es heute) sind im „normalen Leben” Schüler oder Studenten, Arbeitslose oder Angestellte. Jetzt sind sie Spargelstecher und zwar ganz passable, wie Schröder zu Protokoll gibt: „Die meisten sind schon sehr zuverlässig, wenn auch nicht so schnell wie die Rumänen.”

Viel Abbruch: Das Spargelstechen fällt erstmal schwer

Das Spargelstechen ist dabei in der Theorie recht einfach: Lugt irgendwo das Köpfchen einer solchen weißen Stange aus dem Damm, kann der Spargel geerntet werden.

Dazu wird die Stange mit zwei Fingern etwas freigelegt und festgehalten. Mit der anderen Hand führt man in einiger Entfernung das Spargelmesser in die Erde und versucht mit der scharfen Spitze die Stange so zu durchtrennen, dass sie die richtige Länge hat von 22 cm hat – gar nicht so leicht.

Die ersten Stangen, die ich aus dem Damm ziehe sind ziemlich enttäuschend. Für eine Spargelstange benötige ich mehrere Minuten. Erfahrene Spargelstecher hingegen, so erfahre ich, brauchen nur zwei Sekunden. 

„Morgens stech' ich auch immer scheiße.” Tipps vom Abiturienten

Ich habe Glück: Da der Heinenhof seinen Spargel nicht in den freien Handel gibt, sondern nur vom eigenen Hofladen verkauft, haben wir etwas mehr Spielraum bei der Länge der Stangen. Bei den großen Supermärkten würde Schröder mit solchen Stangen jedoch abblitzen. „Ein bisschen länger sollten sie sein”, mahnt der Spargelchef dennoch gelassen.

Auch von der Reihe nebenan kommen aufmunternde Worte. „Morgens steche ich auch immer erstmal scheiße“, ruft ein erstaunlich routinierter Abiturient aus dem Nachbarort mir zu. Während die Minister in Düsseldorf darüber beraten, wie und wann er trotz Corona seinen Abschluss machen darf, steht er auf dem Feld und macht sich nützlich.

Knochenjob Spargelstechen: Der Rücken macht Ärger

Das nächste Feld wird besser. Dort wächst der Spargel unter einer schwarzen Folie. „Darunter wird es deutlich wärmer. Wie beim Auto“, erklärt Schröder. So wächst der Spargel schneller. Mit schwarzen und weißen Folien kann der Bauer das Wachstum des Spargels steuern. „Die Energie der Pflanze muss bis zum Ende der Saison reichen, wie ein Tank”. macht Schröder klar: „Wenn ich jetzt alles raushaue, habe ich am Ende der Saison nichts mehr.”

Die nächsten Stunden vergehen wie im Flug. Die Arbeit ist anspruchsvoll und die Lernkurve ist steil. Allerdings beginnt so langsam der körperliche Verfall. Das ständige Bücken geht tierisch in den Rücken. Kaum zu glauben, dass die Saisonarbeitskräfte teilweise seit 20 Jahren ganze Sommer so verbringen.

Trotz Sondergenehmigung: Rumänische Erntehelfer bleiben zu Hause

„Die sind schon sehr belastbar“, gerät auch Bauer Schröder über seine alljährlichen Helfer aus Rumänen ins Schwärmen: „Die kommen teilweise schon seit 20 Jahren hierher und verdienen sich hier in wenigen Monaten einen rumänischen Jahreslohn.” Auch wenn die Bundesregierung die Einreise von Saisonarbeitskräften unter strengen Auflagen doch noch erlaubt hat, muss Schröder dieses Jahr ohne sie auskommen.

„Es ist eine Mischung aus Nicht-Können und Nicht-Wollen”, mutmaßt der Spargelbauer. Nicht Können, weil die Organisation der Anreise in Corona-Zeiten für beide Seiten bürokratisch und kompliziert ist. Nicht-Wollen, weil Nordrhein-Westfalen im Gegensatz zu Rumänien ein Hotspot der Corona-Pandemie ist. Die Leute haben Angst sich hier anzustecken. Kein Wunder: In Süddeutschland erlag bereits ein rumänischer Erntehelfer den Folgen der Viruserkrankung.

Spargelstechen statt Sporttherapie: Das sind die Ausshilfserntehelfer

Für viele ihrer Stellvertreter ist der Einsatz auf dem Feld auch eine Form der Nachbarschaftshilfe in der Krise. So wie für Ken(26), der normalerweise Anderen den Rücken grade macht, anstatt den Eigenen krumm. „Ich bin mit Josef zur Schule gegangen”, berichtet der Physiotherapeut als wir am Mittag nach getaner Arbeit im Hof stehen: „Ist ja blöd für ihn, wenn er jetzt keine Leute hat.”

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Er macht sich keine Gedanken darüber, wie lange er  hier auf dem Feld noch helfen kann und will. „Wahrscheinlich bis mein Finger hier abfällt”, meint Ken lachend und zeigt seinen rechten Zeigefinger an dem sich eine üble Blase gebildet hat. 

Noch scheinen Schröders Erntehelfer gut mit der Belastung klar zu kommen. Bis zum Johannestag, dem 24. Juni, geht die Spargelsaison traditionell – noch mehr als zwei Monate. Ob sich die Schulfreunde und Bekannten aus der Nachbarschaft dann immer noch fröhlich ihre malträtierten Finger zeigen, wird sich zeigen. 

Ich jedenfalls bin nach einem Tag auf dem Spargelacker froh, den nächsten Tag wieder im Bürostuhl verbringen zu können.