Steile Theorie zum DombauStar-Psychologe Grünewald: Gerüst entspannt die Kölner

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Das Gerüst am Nordturm. Es gibt auch Pläne, den Südturm einzurüsten. 

von Ayhan Demirci (ade)

Köln – Wer hätte das gedacht? Das Gerüst am Nordturm des Kölner Doms ist vielen ein Dorn im Auge. Die Dombauhütte geht davon aus: Das Gerüst wird über Jahrzehnte bleiben, oder eben sogar für immer.

Stephan Grünewald machte an der Kölner Uni sein Diplom

Das ist auch gut so – meint der Kölner Star-Psychologe und Bestseller-Autor Stephan Grünewald (studierte in Köln). Der Frage, ob der Anblick des riesigen Gestänges nicht zu kollektiver Resignation führen könnte, nach dem Motto: Wir werden in Köln einfach mit nichts fertig, entgegnet Grünewald mit einer kompletten Gegenthese.

Er sagt: „Nein – denn das Gerüst zeigt: Der Dom ist noch rüstig. Das heißt: Er ist noch lebendig, er ist noch nicht fertig, er ist in der Entwicklung. Das ist Zuversicht spendend und tröstlich zugleich.“

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Stephan Grünewald

Stephan Grünewald ist Gründer und Leiter des Markt-, Medien- und Kulturforschungsinstituts Rheingold mit Sitz in Köln.

Das Dom-Gerüst: So kann es zu Depressionen führen

Auch die weitere Erklärung ist höchst interessant. Der Kölner, so Grünewald, würde das Provisorische lieben. Denn: „Da hat er nämlich immer noch das Gefühl: das kann noch doller, noch besser werden – er kann das vorhandene also noch austräumen. Er fürchtet den Schrecken der Endgestalt. Das würde in Köln quasi zu einer postkoitalen Depression führen.“

Dom-Gerüst aus der Entfernung

Au Backe: Das Domgerüst am Nordturm.

Postkoitale Depression – in den Zusammenhang hat wohl noch niemand zuvor den Dombau gebracht. Als postkoitale Depression wird die Müdigkeit nach dem Koitus bezeichnet.  Männer gelten davon stärker betroffen als Frauen. Grünewald spricht in dem Zusammenhang von einer „niederschmetternden Ernüchterung“, die den Kölner nach Erreichen des „Bau-Gipfels“ quasi platt machen könnte.

Stephan Grünewald: „Dom-Vollendung durch Preußen war ein Schock“

Grünewald erklärt weiter: „Der Kölner Dom war 600 Jahre nicht fertig, er war als ewiges Provisorium konzipiert. Die Fertigstellung durch die Preußen hat die Kölner damals sogar schockiert. Es gab früher den Spruch: wenn der Dom fertig ist, geht die Welt unter. Die Kölner haben es also wirklich als kleinen Weltuntergang erlebt, als das monumentale Bauwerk fertiggestellt war. Denn jetzt war es faktisch, jetzt war es nicht mehr austräumbar.

Gilt das jetzt vielleicht pauschal für alle Mega-Projekte in der Stadt? Will sich der Kölner mittlerweile auch die U-Bahn oder die Oper lieber „austräumen“, als ihre Vollendung zu erleben? (Hier mehr lesen: Dinge, die in Köln nerven)

Auch dazu weiß Grünewald Bescheid: „ Merr buddele un buddele, aber eine Weltstadt werden wir nie, sagt man ja in Köln. Man erwartet von Köln also eine gewisse Umtriebigkeit. Dennoch: Natürlich sollten Projekte fertig werden. Es gibt ja noch genug, was nicht fertig ist und beendet werden muss.“

Die Psyche der Kölner und der Deutschen ist Grünewalds Metier: mit seinem aktuellen Buch „Wie tickt Deutschland? Psychologie einer aufgewühlten Gesellschaft“ erklimmt der in Mönchengladbach geborene vierfache Familienvater die Spiegel-Bestsellerliste.