Köln streitet über AusgangssperreWas dafür spricht – und was man kritisieren darf

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Ein Streifenwagen der Kölner Polizei fährt in der Nacht auf Samstag, 17. April, durch die Hohe Straße. Über die Ausgangssperre wird heftig diskutiert.

von Thomas Werner (tw)Jan Wördenweber (jan)

Köln – Der Krisenstab der Stadt Köln hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, wie OB Henriette Reker erklärte, als am Freitag, 16. April, die Ausgangssperre für Köln verkündet wurde. Wohlwissend, dass dieser Eingriff in die Freiheitsrechte auch viel Kritik mit sich bringen wird. Köln streitet über den Sinn oder Unsinn dieser Entscheidung im Kampf gegen die Pandemie. Auch in der EXPRESS-Redaktion wird diskutiert, was dafür und was dagegen spricht. Während Redakteur Jan Wördenweber die Ausgangsperre befürwortet, hat sein Kollege Thomas Werner etwas daran auszusetzen.

Pro Ausgangssperre: Stadt Köln zum Handeln gezwungen

Die Kritik an der Entscheidung der Stadt ist nachvollziehbar. Auch ich poche auf mein Recht der persönlichen Freiheit. Normalerweise. Aber normal ist nichts mehr in diesen Zeiten. Wir verzichten ohnehin schon auf so viel: Treffen mit Freunden und Familie, Kneipe, Konzerte, Reisen. 

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Jan Wördenweber

Der zusätzliche Verzicht auf nächtliche Aktivitäten draußen fällt da vergleichsweise nicht mehr groß ins Gewicht. Er beruht allein auf Hoffnung: Dass die Ausgangssperre die Zahl der Neuinfektionen reduziert.

Alles zum Thema Henriette Reker

Ob es das geeignete Mittel ist, darüber kann freilich gestritten werden. Aber der Druck auf die politisch Verantwortlichen ist mit dem Inzidenzwert enorm gestiegen. Es musste endlich gehandelt werden. Sicherlich lässt sich auch darüber debattieren, ob der Krisenstab nicht schon früher auch andere Maßnahmen hätte treffen müssen. Ebenso über das Hin und Her von No-Covid-Strategie bis hin zur Modellstadt mit Lockerungen.

Ausgangssperre Köln: Krankenhäuser überlastet

Aber während wir diskutieren, sterben weiter Menschen immer jüngeren Alters, und das Klinik-Personal hat die Grenze der Belastbarkeit längst überschritten. Das ist die Realität.

Auch, dass in dieser Woche Krankenwagen vor Kölner Kliniken wieder umkehren und ein nächstes Hospital anfahren mussten. Stellen Sie sich vor, in dem Wagen liegt ein geliebtes Familienmitglied oder ein guter Freund mit einem Herzinfarkt ...

Ja, dann stelle ich meinen Freiheitsgedanken selbstverständlich hinten an. Das alles in der Hoffnung, dass eine Ausgangsperre die Situation auf den Intensivstationen verbessert. Beispiele aus anderen Ländern geben Anlass dazu. Hier sanken die Infektionszahlen, nachdem nachts Beschränkungen im öffentlichen Raum eingeführt wurden. 

Ob es allein an der Ausgangssperre lag, ist noch nicht abschließend geklärt. Aber wenn dieses Instrument dafür sorgt, dass auch der Letzte den Ernst der Lage endlich begreift und sein zuvor verantwortungsloses Handeln ändert, wäre schon etwas gewonnen.

von Jan Wördenweber

Contra Ausgangssperre: Ein Akt der Verzweiflung

Eines vorab: Egal, mit welchen Mitteln, sollten wir das Ziel nicht aus den Augen verlieren. Und das Ziel ist das Ende der Pandemie. Wenn dafür eine nächtliche Ausgangssperre in Köln nötig ist und am Ende zum Erfolg führt, heiligt der Zweck dann die Mittel.

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Thomas Werner

Vor allem dann, wenn man sich mit einem nicht unbeträchtlichen Teil der Bevölkerung konfrontiert sieht, bei dem Argumente, soziale Verantwortung oder das eigene Gewissen nicht dazu führen, die richtigen Entscheidungen in Sachen Kontaktbeschränkungen zu treffen.

Dennoch: Ganz besonders der Zeitpunkt der neuen Maßnahme darf durchaus kritisiert werden. Wie man die verzweifelten Hilferufe aus den Intensivstationen mit gutem Gewissen ignorieren könne, fragte OB Henriette Reker auf der Pressekonferenz am Freitag. Nun, das kann – oder besser: sollte – man nicht. Aber: Sie rufen schon seit Monaten nach härteren Maßnahmen. Mit Warnungen, mit Flehen, mit emotionalen Worten. Wir haben weggehört.

Jetzt sind die Intensivstationen voll. Kaum zu glauben: Die Befürchtungen der Experten vor Ort (in den Krankenhäusern) hat sich bewahrheitet. Wer kann so etwas ahnen?

Ausgangssperre: Hätten wir uns die Zustände ersparen können?

Und noch wichtiger: Hätten wir ihnen die derzeit unzumutbaren Zustände ersparen können, wenn die Politik früher drastischer reagiert hätte? Wir werden die Antwort wohl nie erfahren. Aber so bleibt der Eindruck bestehen, dass die Ausgangssperre keine gezielte Maßnahme der Politik mehr ist, sondern ein verzweifelter Akt, weil bisher ein zu lockerer Weg gewählt wurde, nicht nur in Köln übrigens.

Corona beenden um jeden Preis, da bin ich dabei. Auch um den Preis einer zeitweisen Einschränkung meiner Freiheit. Aber: Der Zeitpunkt stört mich. Und er hinterlässt den Eindruck, als müsste jetzt auf privater Ebene das ausgebadet werden, was auf politischer Ebene bisher verpasst wurde.

von Thomas Werner