Corona in der FleischindustrieKölner Lkw-Fahrer (55) mit schockierenden Details

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Kölner Christian M. war jahrelang Lkw-Fahrer in der Fleischindustrie und enthüllt nun Missstände (Symbolfoto). Dieses Symbolbild wurde am 28.01.2019 in Hannover aufgenommen. 

von Madeline Jäger (mj)

Köln – Christian M. ist Lkw-Fahrer aus Leidenschaft. Seit 20 Jahren transportiert er Waren innerhalb von Europa bis nach Deutschland und wieder zurück. Zwei Jahre lang hat der Kölner (55) in der Logistik der Fleischindustrie gearbeitet und Fleischwaren ausgeliefert.

Ein Job, den er wegen der Bezahlung und schlechten Arbeitsbedingungen jedoch schon nach zwei Jahren nicht mehr machen wollte. Über den aktuellen Corona-Ausbruch bei der Firma Tönnies in Rheda-Wiedenbrück wundert sich der Lkw-Fahrer nicht.

Im Gegenteil. Christian M. sagt: „In keiner Branche wird so viel Schund betrieben wie in der Fleischindustrie.“

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Kölner Lkw-Fahrer: Fleisch über Stunden ungekühlt

Christian M. hat in den zwei Jahren für ein Tochterunternehmen der Tönnies Holding Fleischwaren ausgeliefert. Zu dem Job des Kölners bei Tevex Logistics gehörte es, gekühltes Fleisch auszuliefern. Doch M. erklärt, die Kühlanlage für das Fleisch im Lkw sei einfach extrem laut.

Daher sei es unter Fahrer-Kollegen weit verbreitet, die Kühlanlage nachts für mehrere Stunden auszuschalten, um  schlafen zu können.

„Es ist eine Normalität, die sich durch die Lautstärke der Kühlanlage entwickelt hat. Oft werden Lkw-Fahrern so alte Fahrzeuge zur Verfügung gestellt, dass die Kühlanlage zum Schlafen zu laut ist“, erklärt der Kölner.

Vier bis fünf Stunden könne ein LKW-Fahrer mit ausgeschalteter Kühlanlage dann schlafen. Dementsprechend sei das Fleisch, beziehungsweise in seinem Fall die Schweinehälften, diese Zeit über immer wieder ungekühlt geblieben.

Kühlmittel-Fahrer: Keine Zeit, unhygienische Berufspraktiken zu hinterfragen

Über mögliche Lebensmittelvergiftungen von Konsumenten, die das über Stunden ungekühlte Fleisch später verzehren, hätten die Fahrer sich damals keine großen Gedanken machen können. Denn viel Zeit, unhygienische Berufspraktiken zu hinterfragen, habe ein Kühlmittel-Fahrer in der Fleischindustrie nicht.

Auf EXPRESS-Anfrage äußert sich die Tönnies-Tochterfirma Tevex Logistics GmbH wie folgt dazu: „Das Ausstellen der Kühlanlagen ist für die Fahrer strikt verboten. Dies wird über eine technische Temperaturkontrolle rund um die Uhr überwacht, so dass Temperaturveränderungen automatisch registriert werden“, erklärt Unternehmenssprecher Dr. André Vielstädte.

Doch laut Christian M. können Fahrer die Temperatur der Kühlanlage im Fahrzeug nach dem Ausstellen selbstständig wieder aufdrehen und so dafür sorgen, dass die Wunschtemperatur für die Ware schnell wieder erreicht wird. „Da kann ich tricksen“, erklärt der Lkw-Fahrer.

„Kühlmittel-Fahrer, das will keiner mehr machen, da müsste sich einiges ändern“

Mittlerweile ist Christian M. als Lkw-Fahrer bei Ford in Köln angestellt und aus Überzeugung nicht mehr in der Fleischindustrie tätig. Fleischwaren will er nie wieder transportieren.  

„Ich konnte durch die lauten Kühlanlagen nicht schlafen, hatte keine Ruhe. Man wurde vom Arbeitgeber stark kontrolliert, zum Beispiel wie lange man Pause macht und ob ich schnell genug ausgeliefert habe“, so M..

Fleischtransporte: Regelmäßige Verstöße gegen Kühlungs-Vorschriften

Laut der zuständigen Lebensmittelüberwachung des städtischen Veterinäramts gibt es tatsächlich immer wieder Verstöße wegen ungekühltem Fleisch. 2019 wurden insgesamt 61 Kontrollen bei Fleischtransportern durchgeführt. Dabei gab es 46 Kühlungs-Verstöße, die mit Bußgeldern geahndet wurden.

Eine gewisse Abweichtemperatur von bis zu drei Grad sei laut EU-Recht jedoch erlaubt, so ein Sprecher.

Gesundheitliche Schäden seien beim Verzehr des Fleischs in der Regel nicht zu erwarten, weil eine Restkühlung in modernen Transportern vorhanden sei. Die Kühlkette werde in der Regel nicht unterbrochen. Schwarze Schafe mit älteren Lkws und einer veralteten Technik gebe es jedoch leider immer, so das Amt auf EXPRESS-Nachfrage.

Kölner kritisiert schlechte Arbeitsbedingungen in Fleischindustrie

Was Christian M. bei seinen kurzen Aufenthalten in den Fabriken der Fleischindustrie mitbekommen hat, reicht ihm bis heute. So nachhaltig waren die Eindrücke. Es sei oft nicht hygienisch zugegangen. „Doch mit den Mitarbeitern konnte ich mich darüber nicht austauschen, weil sie in der Regel kein deutsch gesprochen haben“, erklärt der Kölner.

Wahrscheinlich sei man froh gewesen in Deutschland mehr zu verdienen als im Heimatland. Auch wenn die Arbeitsbedingungen schlecht seien. Der Kölner Lkw-Fahrer kritisiert auch die eigene Bezahlung als ausgesprochen schlecht.

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Als Fernfahrer verdiene man höchstens 2.400 Euro brutto. Die meisten Lkw-Fahrer aus der Fleischindustrie, die er kennen würde, hätten jedoch nur ein monatliches Einkommen von 1900 brutto. Auch er damals.

Das bestätigt auch Verdi-Sprecher Uwe Speckenwirth. Die Tarifbindung sei in Deutschland insgesamt zurückgegangen. Auch Lkw-Fahrer seien davon betroffen, was sich auch an der Bezahlung zeige. „In diesem Bereich haben wir eine geringe Tarifbindung und wenige Beschäftigte in der Gewerkschaft“, so die Begründung des Sprechers. Lkw-Fahrer würden sich oft als „Einzelkämpfer“ sehen und daher traditionell weniger gemeinschaftlich in Gewerkschaften organisieren.

„Das ist einfach enorm wenig Geld. Kühlmittel-Fahrer, das will keiner mehr machen, da müsste sich einiges ändern“, so der Kölner Familienvater von zwei Kindern. Christian M. ist froh, mittlerweile in einer anderen Branche als Lkw-Fahrer zu arbeiten.