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Sie nannten ihn „Tilla”Eine Kölner Show-Legende erstrahlt in neuem Glanz

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Wie neu: Der Stolperstein für „Tilla” erstrahlt in frischem Glanz.

von Piet van Riesenbeck (pvr)

Köln – „Kniefreier Rock, tiefes Dekolleté, Seidenstrümpfe und Halbschuhe“ – die Reporter der „Rheinischen Zeitung” können gar nicht glauben, in was für ein schrilles Outfit sich der 38-jährige Kölner Johann Welsch an diesem Abend im Mai 1926 geworfen hat.

Auf der Bühne des Dornröschen und anderen Treffpunkten der queeren Szene geht der gelernte Kaufmann seiner Leidenschaft nach und bezaubert als „Tilla“ die Zuschauer.

Johann Baptist Welsch alias „Tilla”: Travestie-Star in der Kölner Szene

„Die lustige Tänzerin“ ist in den Zwanziger Jahren ein Star im liberalen und weltoffenen Köln, wo sie zuletzt in einem Eckhaus im Süden der Altstadt wohnt – Schnurgasse 64. Bis zu ihrer Ermordung.

Alles zum Thema Homosexualität

Im Dezember 1940 wird „Tilla“ von den Nazis verhaftet, in das KZ Mauthausen in Österreich deportiert und findet dort am 2. März 1943 den Tod – ermordet für einen Lebensstil, der im Hitler-Faschismus verachtet und verfolgt wird. „Widernatürliche Unzucht”, so steht es in einem Dokument zur Festnahme.

„Glanz statt Hetze”: Colognepride reinigt Stolperstein für Travestie-Star

„Homosexualität passte nicht ins Männlichkeitsbild der Nazis“, erklärt Ina Wolf. Sie ist im Vorstand des Vereins Colognepride für die Pressearbeit zuständig und steht jetzt in der Schnurgasse vor ebenjenem Haus, in dem „Tilla” zuletzt gewohnt hat.

Dort ist in Gedenken an sie ein Stolperstein eingelassen worden. Zehn mal zehn Zentimeter, mit einer Messingplatte, in die „Tillas” Lebensdaten eingraviert worden sind.

Die Stolpersteine sind ein Projekt des Berliner Künstlers Gunter Demnig. Seit 1992 produziert er die kleinen Gedenktafeln und arbeitet sie vor den Häusern von Opfern des NS-Regimes in den Bürgersteig ein. Mehr als 75.000 Stolpersteine hat Demnig bislang verlegt – fast in ganz Europa. 

Stolpersteine: Stadt Köln ruft zum großen Reinemachen auf

Würde Demnig in diesem Tempo weiterarbeiten, bräuchte er noch mehr als 1500 Jahre, um jedem Menschen, der von den Nazis aufgrund seiner Herkunft, seines Glaubens oder seiner Neigungen ermordet wurde, einen Stein zu widmen.

Den Stolperstein für „Tilla” hat Demnig zum Glück schon im Jahr 2011 verlegt. Entsprechend hat sich schon einiges an Schmutz auf der Oberfläche des Messingschildes angesammelt. Jahre der Witterung und dreckiger Schuhsohlen haben ihre Spuren hinterlassen.

„Menschen sichtbar machen”: Colognepride nimmt an „Glanz statt Hetze” teil

Zeit, der Erinnerungsplakette wieder neuen Glanz zu verschaffen. Dafür sind die Aktivisten von Colognepride dem Kölner Schwulen- und Lesbentag e.V. in die Schnurgasse gefolgt. Neben Ina Wolf sind das Vorständin Barbara Barth und Anbid Zaman.

„Menschen, die unsichtbar gemacht werden sollten, werden durch diese Steine sichtbar“, erklärt Zaman: „Das ist auch ein Symbol, das uns daran erinnert: Trotz unserer Unterschiede müssen wir als Minderheitsgruppen zusammenstehen und sichtbar werden, um gegen das zu kämpfen, was falsch und unrecht ist in unserer Gesellschaft.“

„Glanz statt Hetze”: Stadt Köln ruft zum Reinigen der Stolpersteine auf

Er und seine Mitstreiterinnen folgen dem Aufruf der Stadt Köln, den Stolpersteinen mit Schwamm und Reiniger zu Leibe zu rücken. „Glanz statt Hetze” ist das Motto der Aktionswoche vom 11. bis 17. August.

„Es ist unsere Aufgabe, das Geschehene vor dem Vergessen zu bewahren, der Geschichtsklitterung und der Schlussstrich-Mentalität durch Aufklärung vorzubeugen“, sagte dazu Oberbürgermeisterin Henriette Reker, die am Mittwoch auch gleich selbst zur Tat geschritten war.

Homosexuelle Holocaust-Opfer: 17 Stolpersteine in Köln

„Homosexuelle sind eine Opfergruppe die auch in der Nachkriegszeit lange Zeit um Anerkennung kämpfen musste“, erklärt Wolf, während die anderen arbeiten.

Selbst in der Bundesrepublik war Homosexualität unter dem Paragrafen 175 strafbar – noch bis in die Neunziger. An das Schicksal homosexueller Holocaust-Opfer erinnern neben dem für „Tilla” noch 16 weitere Stolpersteine in Köln.

„Tillas” Stolperstein: Nach 15 Minuten Schrubben fast wie neu

Ein Erinnerungsstein für eine homosexuelle Frau ist bislang nicht dabei. „Auch lesbische Frauen wurden damals Opfer schlimmster Verbrechen“, erinnert jedoch Wolf: „Sie galten als degeneriert und gefährlich und wurden in KZ zur Prostitution gezwungen.“ Ihr Schicksal findet erst allmählich den Weg in die Öffentlichkeit.

Eine gute Viertelstunde schrubben Zaman und Barth. Erst dann sind sie mit ihrer Arbeit zufrieden. Der Effekt ist nach all der tatsächlich erstaunlich: Während wir die Steine auf dem Gehweg vor der Schnurgasse 64 zuvor kaum gefunden haben, strahlen sie uns zwischen den grauen Pflastersteinen nun förmlich entgegen. 

Hass auf Schwule: Polen führt LGBT-freie Zonen ein

Und man bekommt vielleicht ein wenig ein Bild davon, wie der schillernde Johann Baptist Welsch, den sie „Tilla“ nannten, zwischen den braunen Uniformen der Nazis gewirkt haben muss.