Star-Architekt beleidigt Dom„Warze“: Aber das Allerbeste ist die Reaktion aus Köln

von Ayhan Demirci (ade)

Köln – Wer hätte das gedacht? Der Kölner Dom hat eine schwere Macke! 

Öffentlich gemacht und in die Welt gesetzt hat das der Franzose Philippe Villeneuve, Chefarchitekt für den Wiederaufbau der Pariser Kathedrale Notre-Dame.

Philippe Villeneuve contra Willy Weyres: Franzose nennt dessen Werk „Warze“

In der Diskussion um den „richtigen“ Wiederaufbau des 2019 beim Großbrand zerstörten Vierungsturms von Notre-Dame nannte er den Kölner Dom als scheußliches Beispiel dafür, wie man es falsch macht. Der erst vor etwa 60 Jahren von Dombaumeister Willy Weyres verwirklichte Vierungsturm sehe aus wie eine Warze. 

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Eine Warze am Dom? Wenn das mal keine Beleidigung ist, Monsieur. Barbara Schock-Werner, ehemalige Kölner Dombaumeisterin und Koordinatorin der deutschen Hilfe für den Wiederaufbau von Notre-Dame, meinte in einer Kolumne für den „Kölner Stadt-Anzeiger“, man habe das Warzenwort „nun nicht sonderlich charmant“ gefunden. 

Dann aber kommt ein großes Aber.

Denn: Dass man am Dom den Vierungsturm besonders liebe, wäre nun auch übertrieben. Es gebe in Köln sogar Leute mit der Phantasie, ein Flugzeug mit dem Vierungsturm kollidieren zu lassen. Das ist natürlich auch gnadenlos übertrieben und ein Scherz.

Ganz simpel und klar aber hat Schock-Werner jetzt beim Domradio gesagt: Im Grunde habe Villeneuve mit seiner Kritik recht.

Da hatte der französische Architekt gerade die Entscheidung zur originalgetreuen Rekonstruktion des Vierungsturms verkündet und die ehemalige Dombaumeisterin war erleichtert darüber.

Tatsächlich erscheint Weyres´ Schöpfung wie ein Fremdkörper inmitten der Dom-Gotik. Aber wie und warum entstand überhaupt der ungeliebte Vierungsturm?

Der Vorgängerbau im neogotischen Stil stammte von Dombaumeister Ernst Friedrich Zwirner (1802-1861). Am Ende des Zweiten Weltkrieges war die Eisenkonstruktion erhalten geblieben, aber Teile der Zinkverkleidung waren stark in Mitleidenschaft gezogen worden, erklärt der stellvertretende Dombaumeister Albert Distelrath.

Willy Weyres wurde noch im Zweiten Weltkrieg Dombaumeister

Dombaumeister Willy Weyres (1903-1989), der bereits im Kriegsjahr 1944 das Amt kommissarisch übernommen hatte, entschied sich um das Jahr 1960 herum, den Vierungsturm durch einen modernen Nachfolger zu ersetzen.

Dabei bediente er sich der Form des Expressionismus, und ließ so zwischen 1965 und 1973 eine neue Bleiverkleidung bauen. Die acht großen Engel, die den Turm flankieren (entworfen von Dombildhauer Erlefried Hoppe) sind im Stil des Art déco (1920er Jahre) gestaltet. Vom neugotischen Vorgängerturm erhielt Weyres nur die Balustrade und die Kreuzblume mit dem Stern (von Bethlehem) auf der Spitze.

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Weyres ließ im Kölner Dom auch andere neugotische Ausstattungen des 19. Jahrhunderts entfernen, unter anderem den Altar der Marienkapelle. Albert Distelrath gegenüber EXPRESS: „Willy Weyres war ein Kind seiner Zeit und was er gemacht hat, hat er extrem gut umgesetzt. Viele Bereiche im Dom tragen seine Handschrift. Manches würden wir heute vielleicht anders machen, aber so ist das nun mal häufig.“

Auch aus dieser Erfahrung heraus werde man als Kölner Dombauhütte nun die Lösungen der Nachkriegszeit nicht wegräumen. Auch wenn man Zwirners, auch von der damaligen Fachwelt gefeierte Lösung, als „sehr gut“ betrachte: „Für uns gibt es die Diskussion, den neogotischen Turm wiederaufzubauen, erstmal nicht.“

Auf französisch übersetzt heißt das: Die „Warze“ bleibt. Villeneuve sei flapsig gewesen, meint Distelrath. Aber: „Wir sind nicht beleidigt, man kann es so stehen lassen. Zu den französischen Kollegen, die eine tolle Arbeit machen und mit denen wir uns austauschen, haben wir ein gutes Verhältnis.“