Der „Tatort“ und die Kölner WirklichkeitDas sagt die echte Obdachlosen-Patronin

Monika-Keller

Im Tatort vom 21. März 2021 verkauft Straßen-Mutti Monika Keller (l.) die Obdachlosen-Zeitung und hilft Neuling Ella Jung (r.) auf der Platte.

von Oliver Meyer (mey)

Köln – Es war ein Kölner „Tatort“, der die Menschen Sonntagabend vor dem TV aufwühlte: Obdachlose Frauen, die auf der Straße Gewalt, Bedrohung und Vergewaltigung schutzlos ausgesetzt sind. Im Film stirbt eine erfahrene Obdachlose-Mutti. EXPRESS sprach mit der „echten“ Kölner Straßen-Patronin Linda (57) über das tatsächliche Leben auf der Straße.

  • Kölner „Tatort“ vom 21. März 2021 spielt im Obdachlosen-Milieu
  • Figur Monika Keller erinnert an Straßen-Patronin Linda (57)
  • EXPRESS sprach mit Kölnerin über das Leben auf der Straße

Linda machte jahrelang selbst „Platte“, wie man im Milieu zur Obdachlosigkeit sagt. Sie hat erlebt, wie gefährlich es als Frau ist.

Kölner „Tatort“: Ballauf und Schenk ermitteln auf der Straße

„Jede Nacht hast Du Angst um dein Leben. Um deinen Körper, denn kaum eine Frau erlebt keine sexuelle Gewalt.“ Aber waren die Kölner Kommissare Schenk und Ballauf nah am Thema dran?

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„Genauso wie in dem Film gezeigt, ist es auch und erlebe ich es in meiner Praxisarbeit. Frauen, die aus Gewaltbeziehungen kommen und traumatisiert und psychisch kaputt und hilflos sind“, urteilt Linda.

Kölnerin Linda spricht über das Leben auf der Straße

Im Film lernt die junge Obdachlose Ella Jung den Mitarbeiter eines Schnellrestaurants kennen. Sie hat grade erst extreme Gewalt in ihrer Ehe erlitten und war auf die Straße geflohen. Einmal heiß duschen, eine Nacht in einem warmen Bett schlafen, ist ihr Wunsch. Doch der nette Helfer will Sex.

Linda: „Bett oder Couch gegen Leistung. Viele kamen schon zu mir mit dieser Situation, wenn sie einem sogenannten Wohnungs-Freier in die Hände fielen. Es ist schwer, eine Frau da raus zu holen. Fehlende Perspektiven, Unterkünfte und Schutzräume sind das Problem.“

Kölner Bettelplätze sind hart umkämpft: Gewalt und Beleidigungen

Auch die Auseinandersetzungen unter den Obdachlosen sind geprägt von unkontrollierter Gewalt. Im Film beleidigen sich die Frauen untereinander übel, verdrängen die Konkurrentin von lukrativen Bettelplätzen zum Beispiel rund um den Dom und Hauptbahnhof.

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Die Obdachlosen-Aktivistin Linda steht am 15. November 2016 an der U-Bahnhaltestelle Wiener Platz in Köln-Mülheim.

Die kölsche Linda, die auch den Verein „H.I.K. - Heimatlos in Köln“ leitet: „Der Konkurrenzkampf um den besten Schnorrplatz wird brutal geführt, auch mit Schlägen. Alles das und noch viel mehr ist die reale Welt von obdachlosen Menschen. Gut, das es mal im Ansatz gezeigt wurde.“

Kölner „Tatort“: Figur von Obdachlosen-Aktivistin inspiriert

Für viele Insider war auffällig, wie dicht die Figur der Obdachlosen-Mutti an der echten Linda angelehnt war. Auch optisch mit Schirmmütze und ähnlicher Bekleidung.

„Die Tatort-Macher haben sich möglicherweise meine Internetseiten genau angeschaut, nachdem sie mich vergeblich versucht hatten, zu erreichen. Aber ich war krank und lag in einer Klinik.“

Linda warnt: Corona bringt obdachlose Frauen in Gefahr

Der „Tatort“ wurde im vergangen Jahr gedreht, als Corona noch nicht das komplette öffentliche Leben lahm gelegt hatte.

Daher warnt Linda: „Die Situation für die Frauen hat sich mit Corona drastisch verschärft. Es gibt weniger Schlafplätze oder Duschmöglichkeiten wegen der Infektionsgefahr. Daher fallen vor allem jetzt grade die Frauen den Männern in die Hände, die sie sexuell ausbeuten. Was da derzeit außerhalb des Fokus der Öffentlichkeit passiert, ist schlicht kriminell.“