Auch nach CoronaKölns Star-Journalist: Auf diesen Brauch sollten wir verzichten

Günter Wallraff

Günter Wallraff auf einer Bank am Adenauerweiher

von Ayhan Demirci (ade)

Köln – Es ist jetzt ein Jahr her, dass ein schwerer Fahrradunfall Günter Wallraff (77) auf eine harte Probe stellte. Es folgten mehrere Operationen und eisernes Training: Jetzt ist der Kölner Autor und Starjournalist (Weltbestseller „Ganz unten“, „Team Wallraff“ auf RTL) wieder zurück im Sattel – mit viel Titan im linken Bein und am Fahrradrahmen befestigten Krücken, die er noch braucht.

EXPRESS traf Wallraff am Adenauerweiher unter Coronabedingungen: Mit ausreichend Distanz und dem alles beherrschenden Thema – das Virus, die Epidemie und die Folgen.

Günter Wallraff erzählt Anekdote mit einer seiner fünf Töchter

Er sei schon frühzeitig auf Abstand zu den Mitmenschen gegangen, als die Vorschriften noch nicht erlassen waren – „da ist es sogar passiert, dass meine Tochter anfangs etwas brüskiert war“, bedauert der Vater von insgesamt fünf Töchtern, und muss dabei aber auch schmunzeln.

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Wallraffs Credo in der Corona-Krise lautet: „Wir sollten aus den vielen Schrecklichkeiten, die zur Zeit stattfinden, auch etwas positives entnehmen.“ Dazu zählt, Lehren zu ziehen und umzusetzen. Das Händeschütteln beispielsweise, als Viren-und Bakterienschleuderei gerade verpönt wie nie zuvor, sei verzichtbar – und zwar für immer!

Günter Wallraff: „Schon die Römer gaben sich die Hand“

Wallraff erklärt: „Natürlich ist die Geste tief verwurzelt in unserer Kultur. Auf römischen Münzen, die ich früher gesammelt habe, ist der Handschlag zu sehen. Aber ich finde: Wir brauchen das nicht. Eigentlich war das immer gedankenlos. Jetzt wird uns bewusst, dass wir umdenken können, selbst bei Dingen, die als selbstverständlich gelten - oder galten. In einer immer mobileren und zusammenwachsenden Welt sind weitere Pandemien in immer kürzeren Abständen zu erwarten, wie Epidemiologen prognostizieren.“

Es gebe angenehmere Begrüßungsformen als das Händeschütteln. Wer unbedingt den Handschlag brauche, ihn verinnerlicht habe, könne eine symbolische Geste anwenden: „Dazu verschränkt man zum Beispiel seine eigenen Hände vor seinem Gegenüber. Wer möchte, wendet sich der Person als Zeichen des Respekts dann noch leicht zu. Das finde ich sehr sympathisch.“

Abgesehen vom Ansteckungsrisiko, das durch den Handschlag schon immer gegeben war, sei es doch ehrlicherweise nun mal auch so: „Wie oft kommt es vor, dass man, weil es die Höflichkeit gebietet, jemandem die Hand gibt, wo man sich am liebsten nachher die Hände waschen möchte. Weil es jemand ist, den du nicht nur nicht magst, sondern verabscheust.“

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So muss es Wallraff wohl ergangen sein, wenn er bei seinen verdeckten Recherchen in fremde Rollen schlüpfte und auf diese Weise enge Bekanntschaften mit schmierigen Waffenhändlern, skrupellosen Faschisten und gierigen Ausbeutern machte – um sie dann ihrer Taten zu überführen.

Deshalb freut ihn ein weiterer positiver Effekt der Coronakrise: „Es ist gut und längst überfällig, dass unterbewertete Berufe wie zum Beispiel Altenpfleger, Krankenpfleger, Paketboten oder Kassiererinnen jetzt endlich in ihrer Bedeutung erkannt und gewürdigt werden. Das gehört natürlich beibehalten. Und diese Berufe müssten auf ein ganz anderes Lohnniveau gehoben werden. Denn diese Menschen sind es doch, die eine Gesellschaft im Innersten eigentlich zusammenhalten.“