„Wir leben im Ghetto“Mehr Kölner Kinder machen Kampfsport – mit ernstem Hintergrund

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Kick! Clara-Marie (4) trainiert seit einem Jahr Kampfsport, Trainer Josef Schiefer feuert sie an.

Köln – Bamm, Bamm, Bamm! Clara-Marie kann nicht lesen und schreiben, aber kämpfen kann die Vierjährige schon so gut, dass sie einen gelben Gürtel trägt. Mami muss ihn ihr nur noch umbinden ... Ring frei für Kölns Karate-Kids: Immer mehr, immer jüngere Pänz erobern derzeit Studios und Trainingshallen („Dojos“) im Sturm. Bleibt die Frage: Liebe Eltern, warum macht ihr eure Kinder zu Kämpfern?

Kinder kämpfen im „Cage MMA Cologne“

Die Kampfsportschule „Cage MMA Cologne“ in Braunsfeld. Hier liegt kein Schweißgeruch in der Luft, die Wände schmücken keine vergilbten Box-Plakate – und auf die Säcke prügeln keine halbstarken Typen aus dem Milieu. Die Macher des nagelneuen Clubs wollen den Kampfsport aus der Schmuddelecke holen und für die ganze Familie salonfähig machen.

Kölner Kinder im Kampfsport-Fieber

Das Konzept scheint zu klappen: Mehr als zwei Dutzend Kinder zwischen drei und acht Jahren wuseln auf der fabrikhallengroßen, strahlend weißen Mattenfläche herum, reihenweise Eltern schauen aus gemütlichen Sitzecken zu oder nutzen die Zeit, um selbst ihren Körper in Form zu bringen. Gespannt verfolgt Vater Marco Eberhard das Training, bei dem die Kids an das „Brazilian Jiu-Jitsu“ herangeführt werden - mit Bodenkampf, Wurftechniken, Schläge und Tritten.

Kölner: Bocklemünd ist „echtes Ghetto”

„Ich bin fast täglich hier, weil meine drei Kinder immer an unterschiedlichen Tagen trainieren“, erzählt er begeistert. „Ich zahle monatlich weit über 100 Euro, was für mich eine Menge Geld ist. Aber für uns gibt’s nichts Besseres.“ Warum, erklärt der 49-Jährige so: „Wir wohnen in Bocklemünd und das bezeichne ich als echtes Ghetto. Da werden Kinder auf der Straße gerne mal aggressiv angegangen. Bisher zogen meine Kleinen den Kopf ein und waren etwas eingeschüchtert. Jetzt nicht mehr.“ Eine Bekannte habe sich im Görlinger Zentrum mal gegen mehrere Räuber erfolgreich gewehrt - und ihm den Tipp für die „Samurai-Kids“ gegeben: „Seitdem meine Kinder hier Selbstverteidigung üben, gehen sie mit Mut und erhobenen Hauptes durch das Veedel.“

Kölnerin: Kämpfen tut Kind gut

Auch viele Mütter sitzen am Mattenrand, zupfen immer wieder die kleinen Kampfanzüge zurecht: „Mein Sohn Angelos trainiert seit einem Jahr bis zu drei Mal pro Woche“, lächelt Maria Dimaki (40). „Der Kampfsport tut ihm gut. Er ist kräftiger geworden und hat mehr Disziplin im Leben.“ Mutter Ayu Binti nickt: „Mein Aiden trainiert, seit er vier ist. Er mag es, sich hier auszutoben. Kämpfen hat auch immer mit Respekt und Fairness zu tun. Auch das wird den Kleinen beigebracht.“

Köln: Kampfsport auch in der Schule

Kölns Kinder-Kampfsportwelle schwappt auch in die Schulen hinein: „Der Trend zu Karate oder Capoeira ist eindeutig, auch wenn so manche Schulleiter und Schulleiterinnen eher skeptisch sind“, attestiert Christine Kupferer, Geschäftsführerin vom Stadtsportbund Köln. „Sie wollen ja ihren Schulkindern eigentlich nicht das beibringen, was sie auf dem Hof oder in der Klasse auf keinen Fall haben möchten – Raufereien.“

Karate-Club Bushido hat 180 Kinder

Auch in Kalk und Mülheim sind die Kampf-Kids im Kommen. 180 Pänz allein trainieren im „1.Kölner Karateclub Bushido 1961“. „Die meisten seit vielen Jahren, wir sind völlig ausgebucht“, sagt Geschäftsführer Ralf Vogt (61). „Rund 40 weitere Kinder stehen noch auf der Warteliste.“

Die Macher des Cage MMA Cologne

Jan Graffelder und Josef Schiefer feierten Samstag offizielle Eröffnung ihres auf 740 Quadratmeter vergrößerten Domizils „Cage MMA Cologne/Samurai Kids“ an der Stolberger Straße. Graffelder ist Inhaber einer Personalberatung, Schiefer Innenarchitekt. Potenzial sehen sie neben den Angeboten für Mixed Martial Arts, Muay Thai, Boxen und Selbstverteidigung (derzeit 400 Mitglieder) auch im Personal Training und Firmensport zum Teambuilding.