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„Psychologe der Nation“So tickt Köln in der Corona-Krise – von Bützchen bis Kaffeebud

Stephan Grünewald

Stephan Grünewald ist Psychologe und Mitglied im Corona-Expertenrat NRW.

von Ayhan Demirci (ade)

Köln – Bestseller wie „Deutschland auf der Couch“ (2006) oder „Die erschöpfte Gesellschaft“ machten Stephan Grünewald (60) zum „Psychologen der Nation“, wie ihn die „FAZ“ einmal nannte. Nach Studium der Psychologie an der Uni Köln arbeitete Grünewald als Psychotherapeut. Später gründete er das Institut „Rheingold“, das Markt und Medienanalysen durchführt. Im April 2020 wurde er in den Corona-Expertenrat für NRW berufen.

  • Kölner Psychologe im Corona-Expertenrat für NRW
  • Stephan Grünewald studierte an der Uni Köln
  • Kölner wird „Psychologe der Nation“ genannt

Im Interview mit EXPRESS erklärt Grünewald, wie Köln in der Corona-Krise tickt.

Kölner Psychologe: Schlimme Lage in Kliniken

EXPRESS: Herr Grünewald, sie führen mit ihrem Rheingold-Institut zahlreiche, auf Interviews basierende Studien durch – aktuell befassen sich einige davon mit den Coronafolgen. Was ist ihr ganz persönlicher aktueller Eindruck von der Pandemie?

Alles zum Thema Corona

Grünewald: Ich habe Gott sei Dank in meinem Bekannten- und Freundeskreis keine schweren Verläufe oder gar Todesfälle. Mein ältester Sohn arbeitet als Arzt in der Kinderklinik, von daher kriege ich über seine Schilderungen mit, dass sich die Lage in allen Kölner Kliniken zuspitzt. Auch in der Kinderklinik werden jetzt mehr Kinder mit Corona behandelt.

Ihr Institut sitzt am Kaiser-Wilhelm-Ring, hat 50 Mitarbeiter und Außenstellen in San Francisco und in Schanghai. Wie müssen wir uns ihre Forschungsarbeiten vorstellen?

Wir machen im Jahr circa 200 Forschungsprojekte zu unterschiedlichen Themen. Überwiegend führen wir zweistündige psychologische Tiefeninterviews, legen also den Menschen sinnbildlich auf die Couch. Das läuft jetzt alles virtuell ab. In einer vertrauensvollen Atmosphäre können die Menschen ausführlich beschreiben, wie Ihnen geht und wir Ihr Alltag mit Corona abläuft. Es geht dabei nicht um eine schnelle Meinungsbekundungen oder Bewertungen, sondern wir wollen ausloten, wie es den Menschen wirklich geht und wir sollen den tieferen Sinn ihrer Ausführungen verstehen.

Kölner Psychologe: Auch Verhalten der Bürger mutiert

Was sind ihre Kern-Erkenntnisse zu den Coronafolgen, die sie in letzter Zeit gewonnen haben?

Wir beobachten seit Anfang des Jahres ein doppeltes Mutationsproblem. Also nicht nur das Virus mutiert, sondern das Verhalten der Bürger mutiert auch. Angesichts dieses Dauerlockdowns beschreiben die Menschen eine zunehmende Zermürbung. Sie beschreiben jedoch auch, dass sie nicht mehr diese große Angst haben, die sie im letzten Jahr hatten.

Mit den wahrscheinlich zu befürchtenden Folgen …

Viele beschreiben, dass sie jetzt wieder mehr Freunde treffen, die engeren Freunde auch in den Arm nehmen. Im privaten Bereich ist man relativ sorglos. Wenn Freunde oder Bekannte zu Besuch kommen, trägt keiner eine Maske. Das Grundproblem ist, dass wir das Zuhause als sicheren Ort, als Trutzburg ansehen, aber das perfide bei Corona ist, dass fast alle Ansteckungen im privaten Raum der eigenen vier Wänden erfolgen. Die meisten Menschen betonen, dass sie die Regeln gut finden. Aber wenn man mit ihnen länger spricht, dann merkt man, dass sie sich doch viele Schlupflöcher eröffnet haben, dass es viele Grauzonen gibt. Viele hoffen, dass jetzt durch die Impfungen das Schlimmste überstanden ist oder sehen sich selbst nicht als gefährdet.

Kölner Psychologe: Lockdown plus Ausgangssperre

Wie stehen Sie zu den Ausgangsbeschränkungen?

Eine Verlängerung des Lockdowns wie er bislang war, bringt nichts. Die steigenden Zahlen hängen auch damit zusammen, dass der Lockdown in vielen Bereichen der Bevölkerung anarchisch geworden ist. Es gibt meines Erachtens nur zwei Möglichkeiten aus der Dauermisere rauszukommen. Kurzfristig durch einen kurzen, aber harten Lockdown mit Ausgangssperren, um tatsächlich Kontakte zu reduzieren. Das funktioniert aber nur, wenn das auch umgesetzt und notfalls sanktioniert wird. Sonst droht die Gefahr, dass die Menschen im Freundeskreis noch mehr Zeit drinnen verbringen und sich gegenseitig anstecken.

Von daher: die Ausgangssperren wirken nur, wenn die Bevölkerung mitspielt und jeder den Ernst der Lage realisiert. Langfristig ist es dann wichtig, die frühlingshafte Aufbruchs- und Gemeinschaftslust im öffentlichen Raum zu kanalisieren und zu kontrollieren. Die Öffnung zum Beispiel der Außengastronomie sollte mit einer Testpflicht und zum Beispiel der Luca-App abgesichert werden.

Sie sind Mitglied des im April 2020 von Ministerpräsident Armin Laschet einberufenen, zwölfköpfigen Corona-Expertenrats für NRW, der „transparente Kriterien und Strategien für die Rückkehr ins soziale und öffentliche Leben entwickeln“ soll. Wie arbeitet der Rat?

Das sind virtuelle Runden, anfangs haben wir uns wöchentlich getroffen, jetzt sind wir ungefähr im monatlichen Turnus. Wir hatten bislang 15 Sitzungen und haben fünf Stellungnahmen abgegeben, die letzte im Hinblick auf die anstehende Bund-Länder-Konferenz Anfang März. Die grundlegenden Überlegungen und Empfehlungen kann man auf der Homepage der Landesregierung nachlesen. Leider wird angesichts der politischen Spannungsfelder zumal in Wahlkampfzeiten nicht alles, was richtig und sinnvoll wäre, auch umgesetzt.

Kölner Psychologe: Studie über Zeit nach Corona

An was für Studien arbeitet das Institut zurzeit?

Eine befasst sich mit der Frage, wie die Deutschen jetzt die Zukunft sehen nach Corona, welche Vorstellungen und Wünsche sie haben. Für die Deutsche Bahn gehen wir der Frage nach: Wie können Reisende in der Bahn wieder ein Sicherheitsgefühl entwickeln, dass sie die Bahn dann auch wieder nutzen wie vor der Krise. Und wir machen auch viel Jugendforschung: wie geht es der Jugend in diesen Zeiten? Das ist ein bunter Strauß an Themen.

Zum Abschluss: Kann Köln Corona-Krise?

Ich habe schon im letzten Jahr gesagt: Colonia und Corona sind Antipoden. Wir sind ja eine Stadt, die von der Nähe, vom liebevollen Miteinander, vom Umarmen, vom Bützchengeben, von der Kaffebudseligkeit, zusammen auf engem Raum zu stehen und zu quatschen lebt. Insofern ist Corona für die Kölner Lebensart natürlich eine größere Zumutung als wenn jemand sowieso auf dem Land in Friesland lebt.

Kölner Psychologe: Ich habe Karneval sehr vermisst

Was vermissen Sie am Leben in Köln zurzeit besonders?

Ich habe dieses Jahr den Karneval sehr vermisst - und mal Freitagabend im Alcazar ein Bier zu trinken.

Geboren wurde Stephan Grünewald am 8. November 1960 in Mönchengladbach (er ist Fan der Borussia). Der Vater von vier Kindern lebt mit seiner zweiten Frau Katharina in Köln-Lindenthal. Er ist Begründer des „rheingold instituts“, zu dessen Kunden Unternehmen wie Ikea, Beiersdorf, Unicef oder die Deutsche Bahn gehören. Grünewald ist Autor mehrerer Bücher, darunter auch „Köln auf der Couch“ (KiWi) über die Mentalität des Rheinländers im Allgemeinen und des Kölners im Besonderen.