Prozess in DuisburgTodesschubser (28) von Voerde – das Urteil ist gefallen

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Der Fall Voerde: Jackson B. mit seiner Anwältin Marie-Helen Lingnau

von Madeline Jäger (mj)

Duisburg – Entscheidung im Fall Voerde. Jackson B. betritt am Dienstag zum vorerst letzten Mal den Gerichtssaal des Duisburger Landgerichts. Er trägt eine schwarze Jacke in der Hand, doch der graue Pullover ist wieder derselbe wie vor zwei Wochen.

Als er sich hastig setzt, dauert  es nicht lange bis er sich die schwarze Jacke zum Schutz vor sein Gesicht und den gesamten Oberkörper hält. Vom Angeklagten ist absolut nichts mehr zu sehen, als das Blitzlichtgewitter über ihm einbricht.

Am Dienstag wird das Urteil gegen ihn fallen. Jackson B. könnte auf unbefristete Zeit in der Psychiatrie landen. Aber auch eine Bewährung in der medizinischen Einrichtung ist möglich. Bei guter Führung könnte er die Psychiatrie zum gegebenen Zeitpunkt also wieder verlassen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, eine Frau aus Mordlust ins Gleisbett gestoßen und damit am Bahnhof in Voerde im Sommer 2019 getötet zu haben.  

Voerde: Richter beraten sich über Angeklagten Jackson B.

Richter Joachim Schwartz und seine Kollegen betreten den Sitzungssaal und geben eine vorläufige rechtliche Einordnung ab.

Sie sehen nicht alle Mordmerkmale als erfüllt an. Lediglich das der Mordlust, aber das der Heimtücke? Diese Frage sei noch ungeklärt.

Voerde: Staatsanwaltschaft glaubt an Mord aus Heimtücke

In seinem Abschlussplädoyer führt der Staatsanwalt seine These dazu aus.

„Ich habe keinen Zweifel daran, dass hier ein heimtückischer Mord vorliegt.“ Zahlreiche Zeugen hätten erklärt, mit welcher Wucht Jackson B. die Frau, die er zuvor noch nie gesehen hatte, in Voerde ins Gleisbett stoß.

Die Tat sei für niemanden nachvollziehbar und nur mit der psychischen Erkrankung des Angeklagten einzuordnen. „Die Sozialprognose ist negativ“, so der Staatsanwalt bezüglich der Dauer der Unterbringung des Angeklagten in der Psychiatrie.

Dann kommt die Nebenklage, die Vertretung der Opfer-Familie zu Wort. 

Rechtsvertretung der Opfer-Familie: „Schaler Beigeschmack“

Die Verhandlung hätte einen „schalen Beigeschmack“, da viele quälende Fragen zur eigentlichen Tat ungeklärt bleiben würden.  Schwierig für die Angehörigen des Opfers. Hat der Angeklagte wegen seiner Krankheit absolut nicht gewusst, was er tut?

„Das gnadenlose Timing ist der Inbegriff eines koordinierten Verhaltens“, findet die Nebenklage. Hinzu komme der Drogenkonsum von Jackson B. 

Rechtsanwältin stellt Stoß-Einschätzungen der Zeugen infrage

Die Rechtsanwältin von Jackson B. sieht die Frage der Schuldfähigkeit als Verteidigerin des Beschuldigten naturgemäß ziemlich anders. Die psychische Erkrankung ihres Mandanten hätte zu der Tat geführt. Ihr Mandant habe in Voerde sogar am falschen Gleis auf den Zug gewartet.

Auch die Zeugenaussagen müssten stark hinterfragt werden. „Die Wucht eines Stoßes ist qualifiziert schwer einzuschätzen“, sagt Lingnau. Teilweise seien die Aussagen der Augenzeugen außerdem nicht übereinstimmend, wie zum Beispiel hinsichtlich der muslimischen Geste des erhobenen Zeigefingers, den der irakische Zeuge bei Jackson B. nach der Ausführung der Tat gezeigt haben soll. 

Eine Geste, die auch der Berliner Attentäter Anis Amri nach seiner Tat ausführte. Jedoch kein anderer Zeuge habe diese Geste bei Jackson B. gesehen, so der Hinweis der Rechtsanwältin.

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Bahnsteig-Mord in Frankfurt passierte nur neun Tage nach Voerde

Die Zeugen hätten sich nach der Tat am Bahnsteig über den Stoß direkt ausgetauscht, daher sei ihre Wahrnehmung des echten Stoßes immer weiter getrübt worden, glaubt Anwältin Lingnau.

Außerdem: „Die Zeugen gehen davon aus, dass der Stoß ins Gleis mit Absicht erfolgt ist, weil kurz danach der Frankfurter Fall durch die Presse ging“, so die Rechtsanwältin.

Anwältin legt sich ins Zeug: „Nicht sicher feststellbar, wie heftig der Stoß war“

Tatsächlich stoß nur neun Tage nach der Tat in Voerde am 29. Juli 2019 ein wohl ebenfalls psychisch erkrankter Mann (40) am Frankfurter Bahnhof eine ältere Frau, einen achtjährigen Jungen und seine Mutter ins Gleisbett. Der Junge verstarb. Der Fall löste ebenfalls große Trauer und Mitgefühl in der Bevölkerung aus.

Im Fall Voerde liegen nun alle auffindbaren Fakten auf dem Tisch.

„Es ist nicht sicher feststellbar, wie heftig der Stoß ins Gleisbett war“, erklärt Rechtsanwältin Marie-Helen Lingnau zur Tat ihres Mandanten. Dann zieht sich das Gericht zur Beratung und Urteilsfindung zurück.

Stille im Saal – Richter fällt deutliches Urteil

Als der vorsitzende Richter Joachim Schwartz mit seiner Kammer den Saal gegen 11 Uhr wieder betritt, ist es sehr still im Saal. Wie wird das Urteil ausfallen?

„Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil: Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus. Wir haben es hier mit einem verstörenden Fall zu tun“, erklärt Richter Joachim Schwartz. Die Unterbringung des Angeklagten in einer psychiatrischen Einrichtung erfolgt damit auf unbestimmte Zeit. Mit diesem Urteil schließt sich die Kammer den Forderungen der Staatsanwaltschaft an.

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Der Beschuldigte habe mit Absicht gehandelt. Das hätten übereinstimmende Zeugenaussagen belegt. „Das war also kein Versehen“, erklärte der Richter. Man müsse an dieser Stelle der Verteidigung widersprechen. Unklar bleibe die Motivlage des Angeklagten.

Zahlreiche Augenzeugen schilderten schreckliche Tat

Die Frage nach dem schmerzhaften „Warum“ bleibt also bestehen. Zahlreiche Augenzeugen hatten vor Gericht in Duisburg an insgesamt vier Verhandlungstagen die unglaubliche Tat geschildert.

Teilweise standen sie im Sommer 2019 direkt hinter der verstorbenen Frau. Das Kind einer Zeugin hat seit der Tat aufgehört zu sprechen. Laut den Zeugenaussagen hatte das Opfer nicht den Hauch einer Chance. Es ging alles viel zu schnell.

„Familie muss damit jetzt irgendwie klarkommen, wie weiß ich nicht“

Mit dem Urteil ist die Rechtsvertretung der Opfer-Familie zufrieden, es sei richtig und basiere auf einem kompetenten Gutachten. Der Gutachter habe zehn Stunden mit dem Beschuldigten verbracht.

„Die Familie muss damit jetzt irgendwie klarkommen, wie weiß ich nicht“, erklärt Til Heene nachdenklich gegenüber unserer Redaktion und schaut dabei in die Ferne.