Mit acht Jahren Anschaffen geschicktDüsseldorfer Obdachlose erzählt Horror-Geschichte

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Michaela „Ela“ wurde von ihrer Mutter als Achtjährige zur Prostitution gezwungen. 

von Nathalie Riahi (nari)

Düsseldorf – „Housing First" ist der Name des Projekts, das Leben retten kann. Es holt Obdachlose, die schon sehr lange auf der Straße leben und sogar vom Tod bedroht sind, ins bürgerliche Leben zurück.

Der Düsseldorfer Verein „fiftyfifty" hat sich „Housing First" auf die Fahne geschrieben und vermittelt Wohnungen an Obdachlose, ohne dass sie Bedingungen erfüllen oder eine Gegenleistung erbringen müssen. „fiftyfifty" fordert, dass Housing First flächendeckend im Hilfesystem angeboten werden soll.

Ab dem 11. Februar zeigt der Fernsehsender VOX drei Folgen der neuen Doku-Reihe „Obdachlos – Einzug in ein neues Leben" (immer dienstags um 20.15 Uhr) anhand von Düsseldorfer Beispielen.

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Housing First: Düsseldorfer hat endlich festes Dach über dem Kopf

„Das ist kein Lebenssinn, das ist ein Vegetieren. Das ist einfach nur ein Dasein und kein Leben“, sagt Helmut, 62 Jahre alt, heroinabhängig, über sein „Überleben“ auf der Straße. In rund acht Jahren Obdachlosigkeit hat der gebürtige Düsseldorfer immer auf die Chance gehofft, endlich wieder ein festes Dach über dem Kopf zu haben.

Mit dem realen Projekt „Housing First“ – bei dem Obdachlose ohne Vorbedingung einen unbefristeten Mietvertrag bekommen – ist dieser Wunsch endlich in Erfüllung gegangen. Hautnah und unmittelbar zeigt die Doku-Reihe „Obdachlos – Einzug in ein neues Leben“ Helmut sowie sieben weitere Menschen bei ihrem Weg von der Straße in die eigenen vier Wände und ihr neues Leben.

Der Fernsehsender begleitete die Obdachlosen über ein Jahr – war bei Lichtblicken, Rückschlägen und teils überraschenden Verwandlungen nach dem Einzug dabei. In insgesamt drei Folgen blicken die Zuschauer aber auch auf die persönlichen und hochemotionalen Geschichten jedes Protagonisten und erleben, wie ein einfacher Wohnungsschlüssel zur Eintrittskarte in ein neues Leben werden kann.

Düsseldorfer Verein „fiftyfifty" hilft Obdachlosen, wieder auf die Beine zu kommen

Die Sozialarbeiter der gemeinnützigen Organisation fiftyfifty, die „Housing First“ in Deutschland etabliert haben, helfen den Obdachlosen dabei, Schritt für Schritt wieder auf die Beine zu kommen – und ihre Chance auf einen Neuanfang zu nutzen. Alle weiteren Probleme, wie beispielsweise Drogensucht oder Verschuldung werden im zweiten Schritt in Angriff genommen.

„Eine Wohnung ist ganz elementar. Wenn du eine hast, dann kannst du von da aus wieder Freundschaften und eine Arbeit finden. Ansonsten bewegst du dich in einem Kreislauf“, so Oliver Ongaro, Streetworker bei fiftyfifty.

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Ela ist beispielsweise schon seit ihrer Kindheit in solch einem Kreislauf aus Sucht und Prostitution gefangen. „Mit acht Jahren hat mich meine Mutter anschaffen geschickt. Mit dreizehn bin ich dann an Heroin und Kokain gekommen“, erzählt die heute 45-Jährige. Zurzeit ist es vor allem der Alkohol, über zwei Flaschen Wodka am Tag, der sie das Erlebte vergessen lässt.

Düsseldorf: Obdachlose Frauen leben oft bei „Wohungsfreiern"

Ela ist seit fünf Jahren obdachlos und lebte zwischenzeitlich bei sogenannten Wohnungsfreiern. Julia von Lindern, Streetworkerin von fiftyfifty, erklärt: „Da sprechen wir über Abhängigkeitsverhältnisse. Diese Männer missbrauchen die Situation der Frauen in der Obdachlosigkeit. In der vermeintlichen Annahme ihnen Hilfe zu gewähren, verlangen sie dafür sexuelle Dienstleistungen, die allerdings nicht auf freiwilliger Basis passieren.“

Mit einer neuen Wohnung hat Ela nun endlich die Chance, sich aus der scheinbar endlosen Spirale von Missbrauch und Alkohol zu befreien – und gemeinsam mit ihrem Freund Heiko (43) neu zu starten.

Nici aus Düsseldorf möchte ihre Söhne wiedersehen

Neustarten möchte auch Nici, 36 Jahre alt, seit vier Jahren auf der Straße, Mutter von zwei Söhnen. Gemeinsam mit anderen Obdachlosen lebt sie in einem Zelt am NRW-Forum in Düsseldorf, erschnorrt sich in der Fußgängerzone Kleingeld, um über die Runden zu kommen. „Ich hätte im Leben nicht gedacht, dass ich obdachlos werde. Ich habe immer geglaubt, das passiert anderen, aber nicht mir“, erzählt Nici.

Ihr Ex-Mann war gewalttätig, hinzu kam ein hoher Schuldenberg und dann die fristlose Kündigung. Mit dem Wohnungsverlust wurden Nici vor drei Jahren dann auch ihre zwei Kinder genommen. „In der Vergangenheit ist viel falsch gelaufen. Das hätte ich meinen Kindern am liebsten erspart.“ Die Belastung für die junge Mutter ist groß: „Ich denke jeden Tag, jede freie Minute an meine Kinder.“

Eine Wohnung bedeutet für sie mehr als nur ein Dach über dem Kopf – denn dadurch steigen für Nici auch die Chancen, endlich wieder ihr Leben in den Griff zu bekommen und so ihre Söhne wiederzusehen.

Housing First in Düsseldorf: Weg von der Sucht, rein in ein neues Leben

Neben Helmut, Nici, Ela und ihrem Partner Heiko (43), hofft auch Chris auf einen Neuanfang. Nach zehn Jahren Obdachlosigkeit hat der 28-Jährige mit einer festen Wohnung endlich die Aussicht auf einen Job. Gerd (52) ist nach einem schweren Schicksalsschlag in der Kindheit auf sich alleine gestellt, lebt seit vier Jahren auf den Straßen Düsseldorfs – und kämpft mit seiner Alkoholabhängigkeit.

Jasmin (24) und ihr Freund Patrick (33), beide Eltern, bekommen die Chance, in einer Wohngemeinschaft ihr Leben in die richtigen Bahnen zu lenken – und werden mit einer erneuten Schwangerschaft konfrontiert, die ihr Leben noch einmal komplett verändern könnte.

„fiftyfifty" kritisiert Stadt Düsseldorf und fordert sie zur Hilfe auf

Der Düsseldorfer Verein „fiftyfifty" fordert: „Was wir können, muss doch etwa die reiche Stadt Düsseldorf (an die wir sogar Gewerbesteuer aus den Erlösen unserer Benefiz-Galerie zahlen) auch können. Vor geraumer Zeit hat man uns und der Diakonie dort zehn Wohnungen für Housing First versprochen – bisher: Fehlanzeige. Stattdessen werden Obdachlose aus der Öffentlichkeit vertrieben und mit Bußgeldern überzogen, wenn sie sich etwa vor dem Regen unter Bushaltstellen schützen – klare Fälle von Diskriminierung. WIR von fiftyfifty haben den Kontakt zu den angeblich ach so störenden Campierenden am NRW-Forum gesucht und sie bewegt, in eine Notschlafstelle zu gehen (wo sie auch gerne sind, sonst hätten wir es nicht getan). Als Zeichen unserer Kooperationsbereitschaft."

„Obdachlos – Einzug in ein neues Leben“ : So war die erste Folge

Die Obdachlosen wurden bei ihren alltäglichen Aufgaben, wie Duschen oder Wäschewaschen, begleitet. In den nächsten Folgen werden die Zuschauer sehen, wie Ela, Helmut, Heiko, Nici und Chris mit ihrem neuen Leben zurechtkommen. Leicht fällt ihnen die Umstellung nicht! Obwohl alle in Folge 1 eine eigene Wohnung bekommen haben, ist der ganz normale Alltag eine Riesen-Herausforderung für sie.