Virtual Reality als TherapieProjekt der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg macht Angst

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Ganz schön wackelig: Prof. André Hinkenjann testet mit einer Studentin das VR-Szenario zur Höhenangst.

Bonn/Rhein-Sieg – Ein Hochhaus. Eine Planke. Der Blick in die Tiefe, das Wackeln, der Wind, der um die Nase weht – dieser Cocktail der Sinne dürfte die meisten Menschen zum Zittern bringen. Und das ist Sinn der Sache: Ein Projekt der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg will mit Hilfe von „Virtual Reality“-Brille und Spezial-Effekten Angst-Situationen simulieren.

Die Simulation dient nicht dem Nervenkitzel gegen Langeweile, sondern soll bei der Therapie von Angststörungen helfen.

EXPRESS hat mit den Entwicklern und der Direktorin der Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Uniklinik Bonn über diese moderne Konfrontations-Therapie gesprochen.

Projekt der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg macht Angst

„Mit dem Hochhaus-Programm wollten wir erstmal testen, was man technisch machen kann“, sagt Prof. André Hinkenjann, der das Projekt gemeinsam mit Prof. Ernst Kruijff leitet.

Der Aufbau musste nicht nur virtuell so realistisch wie möglich sein. „Verschiedene Sinne sollen angesprochen werden. Das ist unsere Spezialität“, sagt Prof. André Hinkenjann.

Hochschule Bonn-Rhein-Sieg: Projekt nutzt fast alle Sinne

Das Projekt startete 2016. Die Informatiker entwickelten einen furchteinflößenden Mix, der fast alle Sinne anspricht.

Mit der VR-Brille sieht man die wackelnde Planke, ganz tief unten die Straße mit kleinen Autos und Fußgängern. Das Tolle an solchen Brillen mit zwei Bildschirmen und Linsen: Sie kreieren eine 3D-Umgebung. 

Das Übrige leisten die Spezialeffekte des Hochschul-Teams: Man spürt Wind im Gesicht, den ein Föhn erzeugt, und das Brett, auf dem man im Labor steht, wackelt tatsächlich. Man riecht nassen Asphalt und hört die Stadtgeräusche aus den Lautsprechern.

Projekt Hochschule Bonn-Rhein-Sieg: Austausch mit Therapeuten

„Wir haben mit Therapeuten gesprochen. Die meinten dann, dass die Therapie der Agoraphobie sehr wichtig ist“, sagt Prof. André Hinkenjann. Denn Patienten, die unter dieser Angststörung leiden, trauen sich im schlimmsten Fall nicht mehr in die S-Bahn oder vor die Tür.

Hinkenjanns Team entwickelte daraufhin einen passenden Aufbau. Die Szenerie wechselte vom Hochhausdach in eine S-Bahn.

Projekt Hochschule Bonn-Rhein-Sieg: Langzeitstudie geplant

Auch hier wird die Testperson neben der VR-Brille noch mit etwas „echtem“ ausgestattet: einer Halte-Stange, die vibriert, wenn die virtuelle S-Bahn losfährt. Anzahl und Nähe der Menschen, die man via VR-Brille sieht, kann verändert werden.

Das System wird an der Uniklinik Köln bereits getestet. „Wir wissen schon, dass es Ängste auslösen kann, nun brauchen wir eine Langzeitstudie“, sagt Prof. André Hinkenjann. Erst muss der Antrag auf Projekt-Verlängerung aber genehmigt werden.

Uniklinik Bonn: VR-Lab für Therapie und Diagnostik von psychischen Störungen

Auch die Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Uniklinik Bonn nutzt VR für Therapien. Gerade für Angststörungen gebe es schon länger Projekte wie das der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, sagt Klinikdirektorin Prof. Alexandra Philipsen.

„Insgesamt sind diese virtuellen Settings sehr wirksam. Beispielsweise wird in Psychotherapien viel über Ängste gesprochen, aber insgesamt noch zu wenig exponiert, d. h. mit den Ängsten in der realen Umgebung konfrontiert“, sagt die Klinikdirektorin.

VR-Lab Uniklinik Bonn: Therapeut kann Patienten begleiten

Die Patienten hätten Angst, sich in der Realität der Angst zu stellen, und den Therapeuten fehle die Zeit, mit nach draußen zu gehen.

„Im VR-Lab kann der Therapeut seinen Patienten begleiten, ihm individuell Zuspruch geben und jederzeit Rückfragen, wie stark die Angst jetzt ist, und was jetzt hilfreich wäre.“

VR-Lab Uniklinik Bonn: Geschützter Raum für die Patienten

Trotz der Vorteile sei die Therapiemethode aber noch nicht so weit verbreitet, sagt Prof. Philipsen. An der Uniklinik wird das VR-Lab bereits unterschiedlich genutzt: für Experimente und, um psychische Störungen zu diagnostizieren und zu therapieren. 

VR-Lab Uniklinik Bonn: ADHS-Patienten sitzen virtuell im Klassenzimmer

„Für ADHS-Patienten haben wir ein virtuelles Seminarraum-Szenario mit Störungen wie Handyklingeln und Ereignissen vor dem Fenster wie Blaulicht und Sirenengeheul“, erzählt die Expertin für die Verhaltensstörung ADHS, Prof. Alexandra Philipsen.

Die Psychologen messen Ablenkung und Reaktionen des Patienten in diesem Szenario vor und nach der Therapie.

Uniklinik Bonn: Jedes Angst-Szenario programmierbar

Auch Patienten mit Zwangsstörungen können im Bonner VR-Labor virtuell mit ihren Ängsten konfrontiert werden, zum Beispiel damit, ob sie den Herd angelassen haben.

Laut Prof. Alexandra Philipsen ist im Grunde jedes Szenario programmierbar: „Hat beispielsweise jemand Angst vor Blut, kann ein passendes Szenario erstellt werden.“ (lmc)