Bonner Studentin startet Instagram-Kampagne„Jeder Deutsche hat Rassismus gesehen“

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Die Bonner Studentin Kassandra Ramey will mit einer Instagram-Kampagne die Diskussion über Rassismus in Deutschland unterstützen.

Bonn – Unter dem Hashtag #iseeracism (auf deutsch: ich sehe Rassismus) hat die Bonner Jura-Studentin Kassandra Kate Ramey (26) auf Instagram einen Kanal erstellt, auf dem sich Leute über ihre Erfahrungen mit Rassismus austauschen können.  

Da berichtet eine Frau von krassen Beleidigungen gegenüber ihrem schwarzen Mann in der Bahn. Eine andere Person erzählt von einem Arztbesuch:

Menschen erzählen von Alltagsituationen, in denen sie wegen ihres Aussehens abgewertet oder ausgegrenzt fühlen, zum Beispiel:

„wenn mir gesagt wird, dass ich schön bin für eine Schwarze."

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„wenn Leute, die an mir vorbei laufen, mich Terroristin oder Selbstmordattentäterin nennen."

„wenn ich an der Kasse bei EC-Karten-Zahlung meinen Personalausweis zeigen soll, weil der Name darauf zu deutsch für mein Aussehen ist."

Einige Personen bemerken bei sich selbst kritisches Verhalten:

„wenn ich bei Kindern von zwei Eltern mit verschiedenen Hautfarben an „Karamellbabys“ denke. Das ist mir schon ziemlich unangenehm, weil ich es absolut nicht böse meine, es aber definitiv rassistisch ist..“

„wenn ich meinen Rucksack ein bisschen von mir entfernt stehen lasse und aufmerksamer darauf gucke, wenn ich einen POC Mann in der Nähe sehe.“ (POC=People of Color)

„wenn ich eine Gruppe schwarzer Menschen im öffentlichen Raum chillen und Musik hören sehe und dann sofort an Drogenkonsum/-handel denke."

Ramey ist sich sicher: „Jeder Deutsche hat Rassismus schon mal gesehen, erlebt, selbst gemacht oder mitbekommen.“ Und darüber müsse gesprochen werden.

Die Ermordung des Afro-Amerikaners George Floyd löste im Juni eine neue Diskussion über Rassismus aus, auch in Deutschland. Ramey steckte da gerade mitten in den Vorbereitungen ihres ersten Staatsexamens an der Uni Bonn und war erschüttert: „Das hätte mein Vater sein können, das hätte ich sein können.“

Die #iseeracism-Kampagne startete Ramey zuerst auch auf Twitter und Facebook. Auf Instagram lief die Aktion aber am besten. Über 50 Erfahrungsberichte erreichten Ramey in den letzten Wochen. Zusammen mit ihrem Verlobten veröffentlicht sie die dann als Bild auf der Seite.

Auf der Instagram-Seite trudeln die meisten Meldungen als Privatnachricht ein. Weil die Erfahrungen den Absendern oft peinlich oder zu emotional seien, sagt Ramey. Die veröffentlichten Zitate schildern Alltagssituationen in der Schule, bei der Arbeit oder auf der Straße.

Alltagsrassismus: „Du gehörst nicht dazu“ 

Alltagsrassismus bedeutet für Ramey, sich ausgegrenzt zu fühlen: „Das sind Situationen, in denen dein Gegenüber dir sagt, du gehörst nicht dazu. Einzeln sind sie oft gar nicht schlimm, die Menge macht es aus.“

Als Beispiel nennt sie die simple Frage: Wo kommst du her? „Mein Vater kommt aus den USA, meine Mutter von den Philippinen. Ich bin in Deutschland geboren und habe nichts anderes kennengelernt als die deutsche Kultur.“

Schulwechsel wegen rassistischer Beleidigungen

„Viele denken, dass zum Rassismus Vorsatz gehört“, sagt Ramey. Welche Wirkung auch unbewusstes Verhalten haben kann, erlebte die Studentin als Kind, als ihre Familie in ein Dorf zog.

Auf der neuen Schule sei sie täglich beleidigt worden, die Lehrer hätten kaum eingegriffen. „Ich hatte permanent Bauchschmerzen. Der Kinderarzt riet meiner Mutter, mich wieder auf meine alte Schule zu schicken.“

„Ich glaube nicht, dass die Kinder das böse gemeint haben.“

So fuhr Ramey jeden Tag mit dem Bus zu ihrer alten Schule. Rückblickend sagt sie: „Ich glaube nicht, dass die Kinder das böse gemeint haben. Mancherorts sind die Kinder offener erzogen.“

In dieser Dorfschule sei sie aber wahrscheinlich das einzige Kind gewesen, das nicht traditionell deutsch ausgesehen habe.

Schülerstipendium in der 10. Klasse weckte Rameys Politik-Interesse

In der 10. Klasse bekam Ramey ein Schülerstipendium der START-Stiftung, die junge Menschen mit Migrationshintergrund unterstützt. Ein Ausflug nach Berlin weckte dann ihr Politik-Interesse.

Und die Stiftung gab ihr Selbstvertrauen: „Ich hatte davor Zweifel, ob ich das Abitur schaffe, ob ich studieren könnte.“

10 Jahre später steht die 26-Jährige kurz vor ihrem ersten Staatsexamen und hat große Pläne für die Zukunft: Sie will nach dem Jurastudium im Bereich Menschen- und Völkerrecht arbeiten, am liebsten für eine internationale Organisation wie die Vereinten Nationen.

Rassismus-Debatte: Nur ein Trend?

Ramey fürchtet, dass die Rassismus-Debatte schnell wieder untergehen könnte: „Ich habe das Gefühl, viele beteiligen sich an der Diskussion, aber ich habe Angst, dass das nur ein Trend ist.“

Mit ihrer Instagram-Aktion hofft Ramey, die Aufmerksamkeit weiterhin auf das Thema zu lenken. „Solange die Gesellschaft sich nicht eingesteht, dass hier Rassismus herrscht, kann keine offene Diskussion stattfinden“, sagt sie.  (lmc)