Waschzwang wie bei HankaEin Betroffener erzählt: Das war mein Tagesbedarf Seife

„Diese Menge Waschlotion verbrauchte ich jeden Tag“: Uwe S. fotografierte in der Therapie seinen Seifenvorrat, um sich die Unsinnigkeit seines Verhaltens selber vor Augen zu halten.

„Diese Menge Waschlotion verbrauchte ich jeden Tag“: Uwe S. fotografierte in der Therapie seinen Seifenvorrat, um sich die Unsinnigkeit seines Verhaltens selber vor Augen zu halten.

Köln – Wenn das Leben von Zwängen bestimmt wird...

Zwangsstörungen wie sie Dschungelcamp-Teilnehmerin Hanka Rakwitz hat, sind weit verbreitet. Und für die Betroffenen ist es eine Qual.

Der Kölner Einzelhandelskaufmann Uwe S. (Name geändert) ist daran verzweifelt. „Ich habe mir so oft die Hände gewaschen, ich war nicht mehr lebensfähig.“

Gefangen im Zwang, dem Gefühl, nie sauber genug zu sein: Schätzungsweise 800.000 Menschen in Deutschland leiden an einer Zwangserkrankung, zwei von 100 geraten phasenweise in den Strudel irrationaler Verhaltensweisen. Waschzwang ist mit die häufigste Form.

Sich morgens im Bad fertig zu machen dauerte bei Uwe S. drei bis vier Stunden: „Folglich kam ich immer zu spät zur Arbeit.“

Wenn er zur Toilette ging, hat er erst WC-Brille, Kloschüssel, dann das Waschbecken sauber gemacht, vorher und nachher: „Ich hatte kein Zeitgefühl in diesem Moment.“ Extrem peinlich war das am Arbeitsplatz. Er war mehr im Bad als im Laden. „Als das auffiel, bin ich tagsüber irgendwann nicht mehr auf Toilette gegangen.“

„Wenn mir ein Kunde ein Handy in die Hand drückte, kriegte ich Panik. Pure Angst - und dabei versuchte ich zu lächeln. Denn das gehört zu meinem Job.“ Ausflüchte, Vermeidungsversuche, sie nahmen immer absurdere Züge an.

„Ich konnte in der Straßenbahn keine Griffe mehr anfassen, nicht mehr kochen, das Haus nicht mehr verlassen, weil beim Sockenanziehen meine »schmutzigen« Hände ja mit der Haut in Berührung kamen.“

Im Winter rissen seine Hände auf - wund gewaschen. „Ich sah aus, als ob ich rote Handschuhe trage. Am Schluss schrubbte ich mir die Hände mit scharfen Reinigungsmitteln, je mehr es brannte, desto besser.“ Eine Stunde Händewaschen – normal.

„Aber es half nichts. Ich hatte das Gefühl, immer noch nicht sauber genug zu sein.“ Er verbrauchte aberwitzige Mengen Flüssigseife – sechs Nachfüllpacks pro Tag. Bis zum völligen körperlichen und psychischen Zusammenbruch.

Erst ein achtwöchiger stationärer Aufenthalt mit kontrolliertem Zwang, das Nichtwaschen auszuhalten, knackte den Teufelskreislauf.

Als eigentliche Ursache wurde dem verzweifelten Rheinländer die eigene tiefe Unsicherheit klar: „Dass ich mich selber als ekelhaft, als grundsätzlich schmutzig empfand.“

Dass daraus der Zwang zum Händewaschen entstand, meint er rückblickend, fing schon in früher Kindheit an, „und das nicht etwa, weil meine Eltern mich ständig dazu ermahnten.“

„Aber wenn ich Spielzeug in die Hand nahm, habe ich die Hände am Teppich abgeputzt. Bei einem Sturz brach ich mir die linke Schulter, weil ich Hemmungen hatte, mich abzustützen: Ich wollte mich nicht dreckig machen! Wenn ich beim Sport schwitzte, habe ich nie meine Haare berührt, Schweiß fand ich, wie jede Körperflüssigkeit, ekelhaft.“

Als er als Jugendlicher damit auffiel („Willst du mal Arzt werden, du wäschst dir andauernd die Hände?“), verkroch er sich in sein angstbesetztes Schneckenhaus, der Zwang, sich die Hände zu waschen, uferte aus.

Äußerlich blieb er beliebt, leistungsfähig, hatte eine Freundin. „Sie war der einzige Grund, gegen die Krankheit anzugehen.“ Jetzt ist er zurück im Geschäft, betrachtet sich als geheilt, „zu 75 Prozent ...“

Prof. Ulrich Voderholzer, Chefarzt der Schön-Klinik Roseneck.

Wann ist etwas „nur“ Macke, wann krankhafter Zwang?

Wenn die Betroffenen an den Gedanken bzw. Handlungen, die sich gegen ihren Willen aufdrängen und zu denen sie sich gezwungen fühlen, obwohl sie selbst wissen, dass sie unsinnig und übertrieben sind, leiden, d. h. dass ihr alltägliches Leben, Schule oder Beruf, deutlich beeinträchtigt sind.

Was sind die häufigsten Zwangserkrankungen? Zwangsgedanken, Wasch- und Reinigungszwang, Kontrollzwänge, Sammelzwänge, Ordnungszwänge.

Wie wird eine Zwangsstörung behandelt?

Am wirksamsten ist eine Verhaltenstherapie, bei der die Betroffenen schrittweise mit Situationen konfrontiert werden, die ihre Zwänge auslösen. Dabei durchleben sie die unangenehmen Gefühle wie Angst, Ekel und lernen, dass sie ihre Anspannung und Unsicherheit auch ohne Zwangshandlungen beherrschen können. Ziel ist wieder ein normales Verhalten zu erlernen, z. B. sich nicht täglich mehrere Stunden, sondern vielleicht nur noch vor dem Essen und nach der Toilette die Hände zu waschen. Bei Zwangsgedanken ist das Lernziel eine gelassene Einstellung, zu erkennen: „Solche Gedanken kommen und gehen“.

Ist Zwang heilbar? Ja, durch gezielte Verhaltenstherapeutische Behandlung. Und auch in den Fällen, in denen eine lebenslange Anfälligkeit für Zwänge bestehen bleibt, kommen Betroffene mit Hilfe einer Therapie im Alltag deutlich besser zurecht.