Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der katholischen Kirche sprechen über ihren mutigen Schritt, das Coming-out. Und über die Reaktionen danach.
Queer in der katholischen Kirche„Atme freier“: Mutige Menschen über ihr Coming-out
Ein Coming-out ist ein mutiger Schritt. Einer, der nicht leichtfällt, der mit Ängsten verbunden ist. Wenn man in Diensten der katholischen Kirche steht, dann ist er noch mal schwieriger. Man konnte seinen Job verlieren.
Vor über anderthalb Jahren outeten sich 100 queere Menschen mit kirchlichem Hintergrund in einer großen ARD-Doku. EXPRESS.de hat geschaut, was danach passierte und was sich getan hat in der katholischen Kirche.
Queer in der Kirche: Unglaubliches Echo auf gemeinsames Coming-out
Als „Gesichter“ der Initiative „#OutInChurch“ waren nach der Ausstrahlung der Doku „Wie Gott uns schuf“ im Januar 2022 zwei Frauen im Rampenlicht. Weil ihre Geschichte so sehr berührte. Marie Kortenbusch (62) und Monika Schmelter (65) mussten ihre Beziehung über 40 Jahre lang geheim halten. Beide standen in Diensten der katholischen Kirche – Marie als Religionslehrerin, Monika (anfangs Ordensschwester) bei der Caritas.
Ihr Bild ging um die Welt. Der Trubel: gigantisch. Der Zuspruch auch. Aber es blieb nur wenig Zeit, um das Erlebte zu verarbeiten. Das hat Marie Kortenbusch mit einem Buch getan. „Wie Gott mich schuf – katholisch, queer, #OutInChurch“ heißt es. Darin rekapituliert sie alles, was nach der Doku geschah.
Und erinnert sich auch an das Davor, als ihre Liebe ein Geheimnis sein musste. Auch für den zweiten Teil der Doku „Nach dem Coming-out“ standen sie und ihre Frau zur Verfügung. „Ich habe es als eine große Befreiung empfunden“, sagt Marie Kortenbusch. „Es ist so, dass ich freier atme.“
Aber die Jahre des Versteckspiels haben Spuren hinterlassen. Wie schmerzhaft es ist und mit welchen Widrigkeiten Menschen leben, die ihre Beziehung geheim halten müssen, das wird allen, die es nie mussten, nur deutlich, wenn man es ihnen eindringlich verdeutlicht. So hart kann das nicht sein, wenn man keine Konsequenzen spüren will, dann ist man eben zurückhaltend?
Queer und im Dienst der katholischen Kirche: totale Selbstkontrolle
Nein, so einfach ist das nicht. Nie kann ein unbedarftes Wort fallen. Auf die harmlose Frage: „Was hast du am Wochenende gemacht?“, darf nie ein „Ich war mit meiner Frau essen“ fallen. Totale Selbstkontrolle, in jeder Situation. Und die ständige Angst, geoutet zu werden. Von anderen. In Maries Fall von Schülern, Eltern oder Lehrerkolleginnen und -kollegen, die was vermuten und dem nachgehen.
Ein Kollege fuhr sogar in ihren Wohnort (den sie extra weit weg von der Schule gelegt hatte), um nachzuschauen, wie und mit wem sie da denn wohnt. Ein anderer, dem sie das Geheimnis anvertraute, outete sie (obwohl er es nur gut meinte) bei ihrer Chefin. Die verständnisvoll reagierte, aber eben auch versuchte, alles unter der Decke zu halten, um Probleme mit höheren Stellen zu vermeiden. Genau das erleben so viele Menschen noch immer, Tag für Tag.
Und was, wenn man sich outet? Im größten Coming-out in der katholischen Kirche? Marie Kortenbusch und Monika Schmelter haben es nicht bereut, sie standen aber auch nicht mehr im Angestelltenverhältnis. Der zweite Teil der ARD-Doku kam im Mai heraus, nicht mehr so prominent wie der Erste, der direkt nach der „Tagesschau“ lief.
Keiner der 100 Menschen hat seinen Job verloren. Manche haben von sich aus gekündigt, manche sind aus der Kirche ausgetreten. Die Initiative „#Out In Church“ ist jetzt ein Verein, die Gruppe ist auf über 500 Menschen angewachsen. Und in der zweiten Doku fassten auch viele den Mut, sich komplett zu zeigen, die zuvor nur verpixelt an die Öffentlichkeit gegangen waren.
Wie Pfarrer Christoph Konjer aus Niedersachsen. Er hat seine Gemeinde verlassen. Als der Mantel des Schweigens gelüftet war, kam da noch mehr hoch. Ein Missbrauch als Minderjähriger. Von einem Kirchenmann. „Es herrscht immer noch eine Deckmantel-Mentalität“, sagt er. „Man kann sich immer noch nicht ohne Angst in dieser Institution bewegen.“
Die Kirche hat zumindest grundlegende Arbeitsrechtsreformen auf den Weg gebracht. Die sexuelle Identität und die private Lebensführung dürfen kein Kündigungsgrund mehr sein. Genau wie eine erneute Eheschließung nach Scheidung. Ein deutscher Sonderweg. Nicht die Linie des Vatikans. Auch das bewegte einige der Protagonisten, der Kirche als Arbeitgeber doch den Rücken zu kehren. Andere wollen sie noch immer von innen reformieren. Denn ihr Mut hat gezeigt, dass ein Coming-out viel bewegen kann. Auch über einen einzigen Menschen hinaus.
Coming-out: Trans-Mann Theo darf Religion unterrichten
Theo Schenkel ist Trans-Mann, lebte früher als Frau. Er ging als angehender Religionslehrer mit der Geschlechtsangleichung offen um, aber es stellte sich die Frage, ob er seine Lehrerlaubnis bekommen würde. Denn er gilt für die Kirche als Frau – und will eine Frau heiraten. Aus Sicht der Kirche eine gleichgeschlechtliche Beziehung.
Die Missio Canonica hat er aber vom Generalvikar bekommen (nicht vom Erzbischof, wie üblich). Weil so eher Ärger mit Rom vermieden werden könne. „Es ist immer noch ein Zwei-Klassen-Ding“, sagt Theo. Er unterrichtet an einer Gewerbeschule im Schwarzwald, hat sich die Brüste abnehmen und seinen weiblichen Namen aus dem Ausweis streichen lassen.
#Out In Church: Mara ist in der katholischen Kirche geblieben
Mara Klein ist nichtbinär, hat in Halle in Sachsen-Anhalt katholische Theologie studiert, engagiert sich ehrenamtlich stark in der Kirche. Mara sieht sich weder als Mann noch als Frau. Was „Out in Church“ und die erste Doku gebracht haben? „Die kirchlichen Amtsträger können uns jetzt nicht mehr ignorieren, nicht sagen, ‚davon habe ich nichts gewusst‘. Sie können nicht mehr so tun, also wüssten sie nicht, dass da Menschen dranhängen.“
Mara ist nicht aus der Kirche ausgetreten, auch wenn Freunde das nicht verstehen. Mara engagiert sich für den Synodalen Weg, ist froh, was dort schon erreicht wurde, auch wenn die Beschlüsse für Bischöfe nicht bindend sind. „Es gibt keine Garantie, ich kann nur hoffen.“
Coming-out als Jesuitenpater: „Orden hat sehr positiv reagiert“
Jesuitenpater Ralf Klein outete sich ebenfalls im ersten ARD-Film als homosexuell. „Mein Orden hat sehr positiv reagiert“, sagt er im zweiten Teil von „Wie Gott uns schuf“. „Bis dato gab es davor – zumindest offiziell – noch ein Sprechverbot nach außen für schwule Mitbrüder. Das ist jetzt aufgehoben.“ Der Provinzial des Ordens stellte ein Vierteljahr später auch noch mal schriftlich ganz klar: Schwule Mitbrüder sind allen anderen gleichgestellt.
Ralf Klein lebt im Zölibat, wie es die katholische Lehre vorschreibt und wollte das auch nicht anders handhaben. Aber ihm war es wichtig zu sagen, dass er schwul ist. Er bekommt jetzt sehr viele Anfragen für Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare.