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TV-Anwalt Stephan LucasWie fühlt man sich, wenn man das Böse verteidigt?

Stephan Lucas in einer Folge von „Richter Alexander Hold“. Der Strafverteidiger sagt über seine Arbeit: „Auch der schlimmste Verbrecher hat einen fairen Prozess verdient.“

Stephan Lucas in einer Folge von „Richter Alexander Hold“. Der Strafverteidiger sagt über seine Arbeit: „Auch der schlimmste Verbrecher hat einen fairen Prozess verdient.“

Es ist diese Frage, die ihn verfolgt: „Stephan, warum verteidigst du Mörder und Vergewaltiger?“

Sieben bohrende Worte, die plötzlich im Raum stehen, egal wie lustig die Party gerade noch war. Er streift sie nicht ab, wie eine lästige Bürde. Er erklärt. Erzählt Freunden, Bekannten, Fremden, wie er sich an einem Montagmorgen zu Kai in die JVA aufmachte, wusste, dass die Hand, die sich ihm gleich entgegenstrecken würde, ein 16-jähriges Mädchen erwürgt hat. Wie er sich am Abend davor gefühlt, sich vor der Begegnung gefürchtet habe, die dann anders als erwartet verlaufen sei.

Auf der Seite des Bösen

Stephan Lucas ist Strafverteidiger. Seit dreizehn Jahren steht er dort, wo eigentlich niemand sein will: Auf der Seite des Bösen. Warum das so ist, beschreibt er in seinem Buch „Auf der Seite des Bösen“ (Knaur, 8,99 Euro). Einblick in spektakuläre Fälle. Blick in die Seele eines Mannes, in dem eine tiefe Überzeugung wohnt. „Auch der schlimmste Verbrecher hat einen fairen Prozess verdient.“

Stephan Lucas ist kein harter Hund. Seine Frau Olga neckt ihn mitunter, zum Beispiel wenn ihn eine Geburtstagsrede zu Tränen rührt: „Du Heulsuse!“ Er mag sich im Fernsehen keine Psychothriller oder Horrorfilme anschauen. Zunehmend genießt er die Ruhe. Früher hat er sich zum Einschlafen eine CD eingelegt. Das tut er nicht mehr. „Ich glaube, ich bin sensibler als früher.“

Von der Terrasse seiner Wohnung im Herzen Münchens genießt er den Blick auf den begrünten Innenhof. In der Buddelkiste sitzt Olya und brabbelt vor sich hin. Vor zwanzig Monaten kam das Töchterchen zur Welt. Der Anwalt mag sich nicht ausmalen, wie es wäre, jemand täte seinem Mädchen etwas an.

Lucas hat Ayo K. verteidigt, dessen Frau vor Gericht schwor, er habe sich am kleinen Sohn vergangen. Der Anwalt glaubte ihm, nicht ihr. Letzte Gewissheit gibt es nicht. „Ich musste damit leben, dass ich möglicherweise dazu beigetragen habe, dass ein skrupelloser Vergewaltiger nach wie vor frei herumlief.“

Gefühle müssen draußen bleiben

Betritt Lucas den Gerichtssaal, lässt er Gefühle wie Ekel vor der Tür. Dann wird er zu etwas, was er „technischen Anwalt“ nennt. „Ich kann einen Schalter umlegen. Jemand hat getötet. Was bleibt, ist die Beweislage. Sie allein zählt. Wir verfolgen Spuren, die zu etwas führen müssen, um ein Urteil hinzubekommen. Wir sind keine höhere Macht.“

Es gebe Kollegen, die kämen mit dem Druck nicht klar, flüchteten sich in Alkohol, litten unter Depressionen. Er habe Glück. „Ich kann privat den Profi ausblenden. Und umgekehrt.“

Abends schleppt er keine Akten mit nach Hause, berät sich auch nicht mit Ehefrau Olga, die Wirtschaftsjuristin ist. Ruft ihr morgens beim Weggehen höchstens zu: „Hab’ heute ’nen schweren Prozess. Drück mir die Daumen.“ Zeit für ein gemeinsames Frühstück bleibt selten. Aber sonntags stehen frische Semmeln auf dem Tisch, dazu Nutella und Marmelade, mal Obstsalat, mal Spiegelei. „Dann wird ausgiebig gefuttert, gequatscht.“

So schaltet er ab

Jährliches Urlaubsziel ist der Nordosten Mallorcas. Auf der spanischen Insel haben sich der gebürtige Frankfurter und die Ukrainerin (sie kam mit zehn Jahren nach Deutschland) 2002 kennengelernt, ließen sich dort in der Kirche von San Salvador trauen.

In Lucas’ Steckbrief steht hinter Schwäche: Süßigkeiten. „Ich komme an Schokolade nicht vorbei“, gesteht er grinsend. An Nudeln mit Tomatensoße auch nicht. „Hat Vater immer für uns drei Kinder gekocht.“ Mutter starb früh, wurde nur 36.

Sie gab Stephan das schauspielerische Talent mit. Zwanzig Jahre spielte er Laientheater, seit 2001 ist er der forsche Staatsanwalt in der TV-Show „Richter Alexander Hold“. In dieser Rolle hätten ihn alle gern – anders als den Strafverteidiger im echten Leben. „Kein Job zum Liebhaben.“ Vater, auch Rechtsanwalt, gab ihm den Segen. Mutter Renate widmete er sein Buch.

„Fragen Sie Ihren Chef, ob er nicht Lust hat, ein Buch zu schreiben“, fragte der Verlag bei der Sekretärin an. Er hatte Lust. Es war die Gelegenheit, den Fragen zu begegnen, mit denen man ihn bombardiert. Hinter vielen seiner Sätze steht ein Fragezeichen. „Erst beim Schreiben habe ich bemerkt, wie viele Fragen ich mir fortwährend selbst stelle.“

Quälende Fragen nach NSU-Morden

Wie es sein kann, dass bei den Ermittlungen gegen die Zwickauer Terror-Zelle nie in Richtung Rechtsextremismus geschaut wurde?

Lucas kennt die Tochter des türkischen Blumenhändlers Enver Simsek, dem ersten Mordopfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“. Semiya war 14, als er, während er einen Tisch mit Blumen richtete, von acht Kugeln getroffen wurde. Zehn Jahre Ungewissheit, wer ihr Vater wirklich war – ein Drogendealer? „Semiya hat sich sauwohl gefühlt in Hessen."

„Integration war nie ein Thema“, beschreibt Lucas das Mädchen. Bis zu jenem Tag, als klar war: Vater starb nur, weil mal ein Türke „dran glauben“ sollte. „Bin ich Deutsche, kann ich in diesem Land bleiben?“ fragte die 25-Jährige bei der Trauerfeier. Jetzt ist sie in der Türkei, die sie nur als Urlaubsland kannte.

Stephan Lucas vertritt gemeinsam mit seinem Waiblinger Kollegen Jens Rabe die Familie Simsek vor Gericht. „Es ist nicht leichter, auf der Seite der Opfer zu stehen. Man kann nicht rein juristisch agieren, nichts ausblenden. Man ist ganz nah dran am Menschen, begleitet ihn.“

Im Herbst soll Anklage gegen Beate Zschäpe und ihre Helfer erhoben werden. Dann wird Stephan Lucas in seinem Münchner Büro im 6. Stock mit Blick auf die Frauenkirche seinen Alu-Pilotenkoffer packen und sich den Ikea-Beutel über die linke Schulter werfen, in den acht Leitz-Ordner passen. Er wird sich aufmachen, seinen Job zu tun. Diesmal auf der Seite des Guten.