Rochus Misch (93)Hausbesuch bei Hitlers letztem Leibwächter

Berlin – Sanft wiegt eine Kiefer im tristen Berliner Nieselregen. Am weißen Einfamilienhaus bröckelt der Putz vom Dach, ein graues Metalltor schwingt auf. Hier, in einer Nebenstraße in Rudow, wohnt Rochus Misch. Einer der letzten Menschen, die Adolf Hitler lebend gesehen haben.

Der heute 93-Jährige war Leibwächter und Telefonist des Mannes, der die Welt in Schutt und Asche legte, für den Tod von mehr als 60 Millionen Menschen verantwortlich war. Mit mulmigen Gefühl geht der Reporter zum Kofferträger des Bösen, dem letzten verbliebenen Zeugen aus dem inneren Zirkel des Dritten Reiches.

Gebrechlich öffnet Misch die hölzerne Tür. Ohne Krückstock oder Rollator hält es ihn keine Sekunde auf den Beinen. Er überlebte neun Jahre russische Gefangenschaft, einen Herzinfarkt, eine schwere Lungenentzündung. „Ich will noch nicht gehen“, flüstert er. Auch wenn er das Haus seit Wochen nicht verlassen hat. „Ein Pflegedienst kommt jeden Morgen. Sie helfen mir aus dem Bett, waschen mich, ziehen mich an. Jeden Morgen. In exakt 41 Minuten. Mehr ist nicht möglich.“

„Nicht möglich“. Zwei Worte, die Misch oft über die Lippen kommen. Nicht weil er selbst nicht glauben kann, dass er dem grausamsten Diktator der Menschheit diente. Nein, Rochus Misch kann seine "Fanpost" nicht mehr beantworten!

Jede Woche erreicht ihn ein Karton voller Briefe. Aus aller Welt: „Aus Korea. Aus Knoxville im US-Bundesstaat Tennessee. Finnland, Island. Noch nie war einer dabei, der ein böses Wort verloren hat.“ Reue für sein Mitwirken, gar ein Wort der Entschuldigung? Nichts.

Misch senkt den Kopf, greift zum Papierstapel. Die meisten der Brief bitten um ein Autogramm. „Die Menschen bitten tatsächlich um ein Autogramm eines ehemaligen SS-Schergen?“, fragt der Reporter. Misch guckt irritiert, kann oder will die Verwunderung nicht verstehen. „Selbstverständlich“, antwortet er, zückt zwei "Autogrammkarten". Auf beiden ist er in SS-Uniform zu sehen. Einmal auf dem Obersalzberg, einmal vor der Reichskanzlei. Seinem "Büro".

Heute lebt der ehemalige Hitler-Helfer nur wenige Kilometer vom einstigen Machtzentrum des Dritten Reiches entfernt. „In diesem Haus wohne ich seit 1938, seit 1997 nach dem Tod meiner Gerda allein. Hier werde ich sterben.“

Diesen Gedanken hatte er schon vor gut 66 Jahren. Am 30. April 1945, als Hitlers Leiche unverhüllt an seinem Telefonisten-Platz aus dem Führer-Bunker getragen wurde. Überhaupt Hitler. Wer in Mischs Haus Fotos, Büsten, gar persönliche Gegenstände "des Chefs" (so nannte Misch Hitler) vermutet, irrt. „Meine Frau hat alles weggeschmissen.“

Seine Lebensgeschichte hat Rochus Misch vor Jahren schon in einem Buch ("Der letzte Zeuge") veröffentlicht. Dies soll nun 2012 für 20 Millionen US-Dollar Produktionskosten verfilmt werden, die Verträge sind angeblich gemacht. Ob er den Film noch sieht? „Ich denke, das ist nicht möglich.“