NachrufWalter Scheel (†97): Brückenbauer und Volkssänger

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Walter Scheel wurde 97 Jahre alt.

Köln – „Sag ich: Ade, nun, ihr Lieben,

die ihr nicht mitfahren wollt,

ich wäre so gern noch geblieben,

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aber der Wagen, der rollt.“

Ein Lied, ein großer Politiker, ein Vermächtnis von Zuversicht, Augenmaß und Weitblick. „Hoch auf den gelben Wagen“ - Als Walter Scheel im Dezember 1973 diesen wahrlich deutschen Schlager in Wim Thoelkes Sendung „Drei nach neun“ anstimmte und in den Wochen danach die Hitparaden stürmte, wandelte sich der Blick auf den Vize-Kanzler und Außenminister:  Der Sohn des Stellmachers aus Höhscheid im heutigen Solingen als Mann des Volkes - und nur ein halbes Jahr später der erste Mann im Staate. 

Am Mittwoch ist Walter Scheel verstorben, eingeschlafen im Parkstift St. Ulrich in Bad Krozingen, seiner - letzten - Wahlheimat im Schwarzwald. 

97 Jahre wurde Scheel alt. Geboren im Jahr nach dem Ende des Ersten Weltkriegs erlebte der Volksbanker, Wirtschaftsberater, FDP-Abgeordnete, Mehrfachminister und  Bundespräsident fast zehn Jahrzehnte aus Wogen oder besser: Wellen. Politisch wie privat. 

Zweimal wurde Scheel Witwer, vier Kinder hat er: Sohn Ulrich aus der Ehe mit Eva (†1966) und Tochter Andrea-Gwendoline, die er mit Mildred bekam. Adoptivsohn Simon Martin aus Bolivien kam ebenso dazu wie Cornelia, die Mildred Scheel in die Ehe (von 1969 bis 1985) einbrachte.

Die First-Lady aus Köln

Überhaupt: seine zweite Frau - was für eine First-Lady! Die Ärztin aus Köln, die Gründerin der Deutschen Krebshilfe reformierte durch ihr Tun quasi komplett die Rolle der „Frau an der Seite von…“.

Vielen Deutschen fehlte Mildred Scheel ebenso sehr wie ihr Mann, als Walter Scheel 1979 aus der Bonner Villa Hammerschmidt ausziehen musste, weil sich die politischen Mehrheiten verschoben hatten: Der Architekt der ersten sozial-liberalen Koalition mit Willy Brandt (SPD) ab 1969 - ohne Rückhalt in der Union. 

Der konservative Karl Carstens (CDU) folgte im Amt, doch Walter Scheels liberale Stimme blieb. Noch drei Jahrzehnte hörte man den FDP-Ehrenvorsitzenden mahnen, raten, empfehlen: Nie mit übertrieben erhobenem Zeigefinger, aber auch nie so große Bögen schlagend wie Helmut Schmidt. 

Seine dritte Frau Barbara, die nicht selten aneckte, wenn sie schon zu Lebzeiten das „Erbe“ Scheels in Gefahr sah, lebte mit ihm im Schwarzwald - bis ihr an Demenz erkrankter Mann 2012 ins Pflegeheim musste, wo ihm nach einem hässlichen Familienstreit 2014 ein gesetzlicher Betreuer zur Seite gestellt wurde.