Mordfall LindlarDie Leiche, die die Ermittler nicht finden wollten

Tatort Lindlar

Ermittler untersuchen die Leiche am Ablageort im Wald bei Lindlar. Der Tote war größtenteils skelettiert. Angeklagt ist Christoph S. wegen Mordes.

Köln – Es ist ein Fall, den ein Krimi-Autor nicht spannender hätte schreiben können. Ein Fall, der trotz eindeutiger Hinweise auf einen Getöteten, dessen Leiche im Lindlarer Wald liegt, von Ermittlungsbehörden nicht ernst genommen wird.

Und ein Fall, der noch beim laufenden Mordprozess vor dem Kölner Landgericht mit spektakulären Wendungen überrascht. Kommt der Angeklagte nun sogar mit einer milden Strafe davon? Die große EXPRESS-Analyse.

Ein Stich ins Herz, die Kehle durchgeschnitten. Der Kölner Dennis S. (30) hatte keine Chance, den Messer-Angriff zu überleben. Handelte sein Knastkollege Christoph S. (48) in Notwehr,  war es eiskalter Mord oder irgendwas dazwischen? Die Frage muss der Richter klären.

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Fest steht: S. ließ die Leiche im Lindlarer Wald verschwinden, ein Bekannter half ihm  – und der bekam Skrupel, offenbarte sich. Es war der Auftakt für eine Reihe von Versäumnissen in dem Fall.  Ein Drama in drei Akten:

So agierte der Staatsanwalt – oder auch nicht...

Der Kronzeuge, ehemaliger Fremdenlegionär (50), teilte sein Wissen mit seiner Anwältin, Dr. Monika Müller-Laschet aus Köln. Er  legte der Juristin sogar die Quittung einer Tankstelle in Lindlar vor, die sich in der Nähe  des Leichen-Ablageortes befand.

Die Anwältin meldete sich bei der  Staatsanwaltschaft und berichtete dem Staatsanwalt Jörg Schindler, ihr Mandant habe bei der „Beseitigung einer Leiche“ geholfen. Bei dem Getöteten handele es sich um einen Drogendealer. Der Zeuge wolle aber einen Deal: Straferlass in einer anderen Sache, bei der Haft drohte. Darauf ging der Staatsanwalt nicht ein. Die Sache war für ihn damit offenbar erledigt, Ermittlungen nahm er nicht auf.

Keinen Vermerk geschrieben

Staatsanwalt Schindler schrieb nicht mal einen Vermerk über das ihm gemeldete Tötungsdelikt.  Erst Wochen später, als der Getötete tatsächlich gefunden wurde, schrieb er eine Art Gedächtnis-Protokoll. Von einem Anruf der Anwältin „in der Woche vom 15. bis 19. Februar“ war da die Rede. Und einer Leiche, die „im Bergischen Land“ vergraben sei.

Komisch, denn bei ihrer Zeugenaussage vor Gericht sprach die Anwältin eindeutig von Lindlar. Wie schlecht sich der Staatsanwalt  an das brisante Gespräch erinnerte, zeigt, dass er im Aktenvermerk das Datum mehr als einen Monat vorverlegte. Es fand nämlich  erst am 23. März 2016 statt. Die Behörde argumentiert hier, es habe sich aufgrund der vagen Angaben kein Anfangsverdacht ergeben. Die Staatsanwaltschaft habe sich an die gesetzlichen Vorgaben gehalten und sich nichts vorzuwerfen.

So beleidigte die Polizei einen wichtigen Zeugen

Im April vergangenen Jahres meldete sich der Kronzeuge  beim EXPRESS. Die Staatsanwaltschaft habe ihm nicht geglaubt, doch er wolle unbedingt reinen Tisch machen, berichtete der 50-Jährige dem Reporter Günther Classen (72). Classen glaubte dem Mann und kontaktierte die Kölner Polizei. Doch auch die   nahm den Fall zunächst nicht ernst!

Unfassbar: In einem Vermerk beschimpfte ein Polizeibeamter den erfahrenen EXPRESS-Reporter als „alten, senilen Mann“, der nicht glaubhaft sei. Dabei war es Classen, der durch Hartnäckigkeit und den richtigen Riecher für die Aufklärung des Falles sorgte.

Polizei fand nichts...

Mit Leichenspürhunden suchte die Polizei dann doch noch das Waldgebiet in Lindlar ab – und fand nichts! Der EXPRESS-Reporter fuhr danach mit dem Zeugen selbst in den Wald. Zuvor bat er die Kripo, ihn verdeckt zu begleiten und ihm Rückendeckung zu geben.

Dem stimmte ein Kripobeamter zu: Doch nach anderthalb Stunden, in denen Classen die Leiche nicht gefunden hatte, fuhr der Beamte  zurück nach Köln. Umso überraschter muss er gewesen sein, als Classen ihm nur kurz darauf Fotos eines Skeletts zusendete. Die Leiche, die die Behörden nicht finden wollten,  war gefunden.

Die spektakuläre Wendung beim Prozess

Am 9. Januar startete im Landgericht Köln der Prozess. Mord aus Heimtücke warf die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten vor, nach Streit um ein Drogengeschäft. Zu Beginn schwieg Christoph S., auf Anraten seiner Verteidiger Joachim Schmitz-Justen und Ernst Johann.

Einerseits verständlich: Lässt ein Anwalt seinen Mandanten frei reden, könnte dieser sich bei unklaren Fällen auch erheblich selbst belasten. Aber auch das Gegenteil könnte eintreten. Die Anwälte nutzten einen Mittelweg und gaben im Laufe des Prozesses eine Erklärung für ihren Mandanten ab. Die ging in Richtung Notwehr. Auch Totschlag erschien möglich. 

Ankläger fordert lebenslange Haft

Die vorsorgliche  Nachfrage  von Staatsanwalt Jörg Schindler, ob das Gericht auch Totschlag in Betracht zöge und einen rechtlichen Hinweis dahingehend erteilen wollte, verneinte der Richter. Für den Staatsanwalt offenbar der Anlass, bei seinem Plädoyer noch mal Gas zu geben. Er war nun zu 100 Prozent davon überzeugt, dass der Angeklagte ein Mörder ist.

Das Opfer sei ein richtiger „Kampfkoloss“ gewesen. Mann gegen Mann hätte Christoph S. keine Chance gehabt. Für Schindler kam daher nur ein feiger Angriff in Frage, der mit lebenslänglich Gefängnis wegen Mordes zu bestrafen sei.

Worte, die den Angeklagten aus der Reserve lockten. Er wolle nicht länger schweigen. Klar hätte er körperlich gegen den Getöteten bestehen können, er sei schließlich Kampfsportler. Ein Detail, das bisher nie zur Sprache kam.  Er habe sich gewehrt, als Dennis S. ihn mit einem Messer angegriffen habe. „So einen Kampf gewinnt oder verliert man“, sagte der Angeklagte. Stimmt das, fiele das Mordmerkmal der Heimtücke weg, weil sich das Geschehen aus einem Kampf heraus entwickelt hätte.

Mord, Totschlag oder Notwehr

Auch weitere Details zum Tatverlauf, die der Angeklagte preisgab, muss man ihm nun erst mal widerlegen. Statt lebenslänglich  könnte nun eine zeitlich begrenzte Freiheitsstrafe wegen Totschlags herauskommen.

Mit der Notwehr-Version wäre sogar ein Freispruch möglich. Den forderten die Verteidiger dann auch am Donnerstag  im Kölner Landgericht. Mittwoch will der Vorsitzende Richter Dr. Jörg Michael Bern sein Urteil verkünden. Mord, Totschlag oder Freispruch? Alles scheint möglich.

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