Kult-Lokale Teil 23Skandal-Lokal „TomTom“: Zeltinger, der General aus der Hühnergasse

von Ayhan Demirci (ade)

Köln – Das „Le Caroussel“ in der Hühnergasse gleich hinterm Rathaus, das später für eine Zeit lang den Namen „TomTom“ trug und mit der „Kießling-Affäre“ berühmt wurde, war ein Ort bizarrer Geschichten. Ein Schwulen-Lokal konnte es früher offiziell nicht geben. In der Hühnergasse gab es in den 50er/60er Jahren gleich zwei. Das „Caroussel“ und daneben den „Hühner-Franz“.

Bei Polizeikontrollen gab es ein Warnsystem. War in einem der beiden Lokale eine Frauengruppe, wurde die schnell ins andere Lokal beordert, um mit den Schwulen dort zu knutschen. Geschichten aus einem Kölner Kult-Lokal…

Tatort Köln. Ein Lokal schrieb Geschichte. Und was für eine.

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TomTom

Alter Markt 4-6, Eingang Hühnergasse

Gegründet: 1951

Betreiber: Der letzte Pächter schloss das Lokal vor drei Monaten

Publikum: Anfangs: Schwul bürgerlich. In den 90ern als  Stricher-Lokal verrufen

Viel Wirbel um die „Kießling-Affäre“

Die „Kießling-Affäre“, den BRD-Politskandal um den deutschen Vier-Sterne-General und stellvertretenden Nato-Oberbefehlshaber Günter Kießling, erklärt das Wikipedia-Lexikon im ersten Kapitel in folgenden, so wahren wie bis heute schier unfassbaren Sätzen:

Etwas mit ü. Damit wären wir bei Jürgen Zeltinger. Der selbst ernannte „Asi mit Niwoh“, der sich stets offen dazu bekannte, schwul zu sein, war und ist ein Insider der Szene.

Im Archiv des „Centrums für schwule Geschichte“ in Köln-Kalk ist die Ausgabe des Schwulenmagazins „Du & Ich“ aus dem Mai 1984 aufbewahrt, mit einem Zeltinger-Interview. Das Master-Bild zur vierseitigen Reportage zeigt Jürgen als Parodie-General vor dem „TomTom“ in der Hühnergasse. Was war da los?

Ort der Verschwiegenheit mit Alarmknopf

Zeltinger (67) sitzt im Wienerwald am Chlodwigplatz und erinnert sich.   Schon in den 60ern, als junger Kerl, ging er häufig in das schwule Etablissement, das noch „Le Caroussel“ hieß: „Das Lokal hatte eine gute Atmosphäre, 60er Jahre Bar-Stil, weinrot, Tuntenkitsch. Da waren Musiker, Künstler, Politprominenz  – und es herrschte eine gewisse Verschwiegenheit.“

Die Kellerbar existiert bereits seit 1951, ist mit viel Plüsch und in Vitrinen ausgestellten Antiquitäten ausgestattet. Im Buch „Himmel und Hölle - Das Leben der Kölner Homosexuellen 1945-1969“ heißt es: „Das Lokal ist, typisch für die Zeit, stets verschlossen, nach Klingeln wird die Tür von der Garderobiere Marie geöffnet. Unbekannten verwehrt sie den Eintritt mit dem Hinweis auf eine geschlossene Gesellschaft. Verlangt ein Kontrolleur vom Jugendamt Einlass, betätigt sie einen verdeckten Klingelknopf, der im Untergeschoss die Anwesenden alarmiert.“

Verteidigungsminister kam in Teufels Küche

In diesem Etablissement also wähnte der Verteidigungsminister Manfred Wörner 1984 seinen Top-General, hielt ihn wegen der „Unsittlichkeit“ für erpressbar und entließ ihn. Kießling aber schwor, er sei weder schwul, noch kenne er das „TomTom“. Wörner kam in Teufels Küche, berief sich auf die Zeugenaussagen der „TomTom“-Crew, das waren die Chefs und Buffetiers der Schwulen-Bar, Udo J. Erlenhardt, Gerhardt August, Micha Lindlahr, Hans-Albert Wichert. Diese Männer waren alles – nur nicht seriös.

Zeltinger widmete dem „TomTom“-Quartett ein Liedchen

Und Zeltinger? Rechercheure kamen damals auf ihn zu, er kenne sich doch aus, ob er nicht irgendwas wisse. „Selbst wenn“, sagt er heute, „ich hätt´  den Kießling auch nicht ans Messer liefern wollen.“ Schließlich habe er selbst wegen dem Schwulenparagrafen 175, der Sex unter Männern unter Strafe stellte, einmal vor Gericht gestanden.

Aber dem dubiosen „TomTom“-Quartett, dem widmete Zeltinger ein  Liedchen: „Die vier vum Jeneral“. Deshalb sprang er fürs Foto in die „Generals“-Montur.  

Der Song aber, für das Album „Krawall im All“ vorgesehen, wurde nie publik. Es hieß plötzlich, Kießling habe einen Doppelgänger. „Da war die Sache von heute auf morgen erledigt“, ist Zeltinger bis heute verblüfft. An den Text kann er sich daher nicht mehr erinnern, nur ein Bruchstück typischer Zeltinger-Lyrik ist übriggeblieben: „Keiner weiß, was es ist. So’n Mist.“

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